Nach 16 Monaten Corona-Pandemie zeigen sich nun für viele die finanziellen Folgen. Zweifellos hat die Politik einiges getan, um die wirtschaftliche Not abzufedern. Wichtige Regelungen zum Schutz der Verbraucher*innen wie die Mieterschutzregelung oder der Zahlungsaufschub bei Verbraucherdarlehensverträgen und bei Verträgen mit Energieversorgern liefen jedoch bereits zum 1. Juli 2020 wieder aus.
Die Beratungsarbeit in der Sozialen Schuldnerberatung der Diakonie Hessen zeigt: Das Kurzarbeitergeld reicht nicht mehr aus, um langfristige Verbindlichkeiten erfüllen zu können. Befristete Arbeitsverträge werden nicht verlängert, Minijobs sind kaum noch zu haben. Im Budget der Klient*innen klafft eine monetäre Lücke, die immer größer wird. Bestehende Ratenzahlungsvereinbarungen können nicht mehr erfüllt werden. Zur bundesweiten Aktionwoche Schuldnerberatung schlagen nun die Berater*innen in der Diakonie Hessen Alarm: Die Anfragen bei den Sozialen Schuldnerberatungsstellen haben mit den Corona-Maßnahmen zugenommen, der Zugang zur Hilfe ist vielen verwehrt. Die soziale Beratungsarbeit zur frühzeitigen Bekämpfung wirtschaftlicher Not durch Verschuldung ist aber nun besonders wichtig.
Erfahrung aus den Schuldnerberatungsstellen: Existenzen gefährdet, Zugang zu Hilfe erschwert, mehr Menschen von Verschuldung betroffen
Die Berater*innen der Schuldnerberatung der Diakonie Hessen stellen in ihrer täglichen Arbeit fest:
- Es geht mehr und mehr um nackte Existenzsicherung. Gläubiger, vor allem große Wohnungsbaugesellschaften und Energieversorger, sind nicht mehr zu Vergleichen bereit und bestehen auf Zahlung.
- Zugang zum Jobcenter durch Corona erschwert. Zur Abfederung genau dieser Schulden eröffnet das Sozialpaket III zwar einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung. Gleichzeitig ist jedoch der Zugang zum Jobcenter im Alltag erschwert: Keine persönlichen Vorsprachen mehr, mangelnde Er-reichbarkeit der im Homeoffice befindlichen Sachbearbeiter*innen, zäher Informationsaustausch, aufwändige Dokumentationspflichten. Dieser erschwerter Zugang kostet unendlich viel Beratungszeit und -aufwand.
- Alte Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund sind Digitalisierungsverlierer. Auch wenn mittlerweile das Smartphone zum Alltag gehört, heißt das noch nicht, dass es auch allen Menschen möglich ist, ihren Alltag pandemiebedingt nur noch digital zu regeln. So musste der Anspruch von Schulkindern auf ein kostenloses Endgerät für den Distanzunterricht erst mühsam vor den Sozialgerichten erkämpft werden. Technisches Know-how und entsprechendes Equipment fehlt oft, erschwert die Kommunikation mit Gläubigern, Gerichten und Behörden und führt zu so manchem Fristversäumnis. Dies betrifft oft ältere Menschen oder solche mit Migrationshintergrund.
- Verschuldung kann jeden treffen. Es war zwar schon immer so, aber insbesondere die Corona-Pandemie hat noch einmal deutlich gezeigt, dass nicht nur Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, sogenannte „sozial Schwache“ oder Menschen mit mangelnder finanzieller Bildung in die Verschuldung geraten können. Sie kann jede und jeden treffen. Beschäftigte mit solider Ausbildung, die sich in sicheren Arbeitsverhältnissen wähnten, fanden sich plötzlich in Kurzarbeit oder gar der Arbeitslosigkeit wieder. Die diakonischen Schuldnerberatungsstellen im Kreis Offenbach etwa verzeichneten plötzlich vermehrt Hilfsanfragen von Flugbegleiter*innen, Bodenpersonal und sonstigen Beschäftigten des Frankfurter Flughafens; Personen, die sonst nie in der Schuldnerberatung auftauchen. Der Verlust des Erwerbseinkommens durch Arbeitslosigkeit führt oft dazu, dass die Finanzierungskonzepte der Familien oder Partnerschaften in sich zusammenbrechen und in die Verschuldung führen.
Forderungen der Diakonie Hessen für die Arbeit ihrer Sozialen Schuldnerberatung
Damit die Menschen in ihrer Not nicht auf sich allein gestellt sind und Verschuldung frühzeitig entgegengewirkt werden kann, fordert die Diakonie Hessen nun folgende Sofortmaßnahmen:
Aufstockung der Landesfördermittel für die Schuldnerberatung
Hessen muss die Landesmittel für die Schuldnerberatung erhöhen, damit die Soziale Schuldnerberatung ihr Beratungsangebot ausweiten kann, um den verschuldeten Menschen zu helfen. Diese Notwendigkeit sieht mittlerweile auch der Hessische Landkreistag. Die Wartelisten der Beratungs-stellen sind kräftig gewachsen und dadurch steigt die Gefahr, dass sich eine bisherige Verschuldung eines Haushalts zu einer ernsten finanziellen Existenzkrise verfestigt.
Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle Menschen
Auf Bundesebene muss sich das Land Hessen dafür einsetzen, dass ein Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle Menschen im Sozialrecht (SGB XII) gesetzlich verankert wird. Es kann nicht sein, dass Erwerbstätigen und insbesondere Solo-Selbstständigen, die in finanzielle Not geraten sind, der Weg zur kostenfreien Schuldnerberatung der Wohlfahrtsverbände und der Kommunen nicht offensteht, obwohl ihnen in diesem Stadium noch wirksam geholfen werden könnte. Auch die Gläubiger würden von einer Schuldnerberatung für alle profitieren. Ist ein*e Schuldner*in nämlich erst einmal finanziell so weit abgesackt, dass ihm nur noch das Existenzminimum durch Sozialhilfe oder Grundsicherung bleibt, können offene Forderungen nicht mehr beglichen werden.
Löschung von negativen Merkmalen bei der SCHUFA
Die Löschungsfrist von negativen Eintragungen zur Kreditwürdigkeit bei der SCHUFA und anderen Auskunfteien beträgt auch nach erfolgter Restschuldbefreiung immer noch drei Jahre. Dies konterkariert den gesamten Gesetzeszweck des Verbraucherinsolvenzverfahrens: den wirtschaftlichen Neustart des redlichen Schuldners. Was nützt ein erfolgreich durchgestandenes Insolvenzverfahren, wenn die Menschen aufgrund der negativen Eintragungen bei Auskunfteien kaum Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben, nicht mehr als kreditwürdig angesehen werden und keine Verbraucherverträge mehr schließen können?
Frankfurt, Juni 2021
Weitere Informationen
Sie möchten wissen, was Soziale Schuldnerberatungen eigentlich machen? Dann schauen Sie sich unser Erklärvideo dazu an.
Kontakt
Rechtsanwältin Ulrike Sehring
Referentin Schuldnerberatung und Sozialrecht
Tel.: 069 7947-6286
ulrike.sehring@diakonie-hessen.de