Herr Gillich, warum leben Menschen trotz der extremen Kälte auf der Straße? Ist das Hilfesystem nicht ausreichend?
Wir haben in Hessen ein gut ausgebautes Hilfesystem. Doch es gibt Menschen, die nicht in die Notunterkünfte gehen. Das hat viele Gründe. Zum Beispiel haben manche schlechte Erfahrungen in den Unterkünften gemacht, andere halten es nicht aus, mit anderen in einem Raum zu liegen, wieder andere fühlen sich entmündigt oder haben Angst, in ihr Heimatland zurückgeschickt zu werden, obwohl die Kommune das nicht darf.
Wie kann es überhaupt sein, dass manche Menschen selbst in akuter Lebensgefahr keine Hilfe aufsuchen?
Wer auf der Straße ums Überleben kämpft, muss Prioritäten setzen. Ab einem bestimmten Punkt geht es nur noch darum, sich in der akuten Situation zu arrangieren und den Tag zu überstehen. Da bleibt keine Kraftmehr, an Perspektiven zu denken. Stattdessen bauen viele sich ein eigenes vermeintliches Sicherheitssystem. Dazu gehört manchmal auch, sich zurückzuziehen und sich von Ansprachen von außen abzuschirmen.
Was kann ich als Bürger tun?
Oberste Priorität hat, dass in Hessen kein Mensch erfriert. Als Bürger habe ich verschiedene Handlungsmöglichkeiten. Ich kann den obdachlosen Menschen ansprechen, ob er Hilfe benötigt und wenn ja welche. In jedem Landkreis oder Kommune in Hessen gibt es eine Beratungsstelle für wohnungslose Menschen. Ich kann zweitens Mitarbeitende der Beratungsstelle informieren, wo sie die obdachlose Person aufhält. Über Aufsuchende Sozialarbeit sind viele Beratungsstellen auf der Straße unterwegs. Bei dieser Kälte geht es um Überlebenshilfe. Die Notrufnummer 112 gilt auch für Menschen in dieser extremen Notlage.
Was tut die Diakonie, wenn trotz des Angebots der Übernachtung der obdachlose Mensch die Hilfe ablehnt?
Die Diakonie Hessen sammelt gemeinsam mit der Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ Spendengelder, die von Großspendern verdoppelt werden. Davon werden wetter- und winterfeste Schlafsäcke gekauft und über die Streetworker der Diakonie an die Personen weitergegeben. Jeder kann etwas tun und jeder gespendete Euro kann Leben retten. So ist zumindest eine akute Nothilfe möglich.
Übersicht über die Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe in der Diakonie Hessen