Im letzten Jahr sind die Abschiebungszahlen insbesondere während des ersten Lockdowns coronabedingt zurückgegangen, inzwischen werden Abschiebungen aber wieder vermehrt vollzogen, auch in Hessen. Und das mitten in der Pandemie, ungeachtet der anhaltenden Reisebeschränkungen und teils in Länder, in denen das Gesundheitssystem völlig marode und überfordert ist.
„Es macht uns fassungslos, dass eine globale Krise an diesem Punkt völlig ignoriert wird. Aber auch unabhängig von der anhaltenden pandemiebedingten Ausnahmesituation ist jede Abschiebung immer eine extreme menschliche Härte“, sagt Lea Rosenberg, Geschäftsführerin des Arbeitskreises „Migration und Flucht“ in der Liga Hessen.
Oft werden die Betroffenen aus Flüchtlingsunterkünften abgeholt, nicht selten gewaltsam, und Behörden erwarten von Mitarbeitenden, dass sie dabei in unterschiedlicher Weise kooperieren. „Es entspricht aber nicht dem Selbstverständnis und Berufsethos von Sozialer Arbeit, behördlichen Maßnahmen unkritisch Folge zu leisten. Sie ist stets und in erster Linie den Belangen und dem Schutz der Betroffenen verpflichtet. Als Menschenrechtsprofession ist sie parteiisch – im Rahmen der Möglichkeiten auch in Abwehr staatlicher Zwangsmaßnahmen, sobald die Rechte Schutzbedürftiger tangiert sind“, so Rosenberg weiter.
Mitarbeitende von Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge stehen gerade bei Abschiebungssituationen unter einem hohen Druck behördliches Handeln nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu intervenieren. Dies betrifft z. B. Fragen wie: Muss die Polizei in die Unterkunft gelassen werden? Ist man als Mitarbeiter*in verpflichtet, auf Nachfragen Personen zu identifizieren? Muss man das Zimmer von Bewohner*innen aufschließen?
Nicht für jede Einzelfallsituation und konkrete Frage können eindeutige Antworten geliefert werden. „Aber es lässt sich ein rechtlicher Rahmen abstecken, der für die Behörden bindend ist und in dem sich für Mitarbeitende von Unterkünften Handlungsspielräume in Abschiebungssituationen eröffnen“, erklärt Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrats. „Abschiebungen sind kein rechtsfreier Raum und wir möchten mit dieser Handreichung den Mitarbeiter*innen eine Orientierung an die Hand geben, wie sie sich in diesen Situationen verhalten können bzw. sollten.“
Handreichung
Die Handreichung wurde von Dr. Marei Pelzer, Professorin für das Recht der Sozialen Arbeit und der sozialen Einrichtungen an der Hochschule Fulda verfasst. Sie kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen e. V. ist der Zusammenschluss der sechs hessischen Wohlfahrtsverbände. Sie vertritt die Interessen der hilfebedürftigen und benachteiligten Menschen gegen-über der Politik ebenso, wie die Interessen ihrer Mitgliedsverbände. Mit ca. 7.300 Einrichtungen und Diensten sind die Mitgliedsverbände ein bedeutender Faktor für die Menschen, für eine soziale Infrastruk-tur und für die Wirtschaft in Hessen.
Nah an den Menschen und ihren Bedürfnissen wissen die rund 113.000 beruflich Beschäftigten und rund 160.000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflegeinrichtungen, Behinderteneinrichtun-gen, Werkstätten, Tagesstätten, Bildungsstätten, Beratungsstellen, in den Frühförderstellen, ambulanten Diensten und anderen Einrichtungen um die sozialen Belange und die realen Rahmenbedingungen in Hessen. Diese Kenntnisse bringt die Liga in die politischen Gespräche auf Landesebene und mit Ver-handlungspartnern und Kostenträgern ein.