Andacht von Pfarrer Uwe Seibel, Referent für Gemeinwesenarbeit
Alttestamentliche Lesungstext des gestrigen Sonntags 5. Mose 16,19:
„Du sollst das Recht nicht beugen und sollst auch die Person nicht ansehen und keine Geschenke nehmen.“
Leider erleben wir in unseren Beratungsstellen sehr häufig, dass das Recht auf vielfältige Weise gebeugt wird:
- bei der Frage, wem Zutritt zu unserem Land gewährt wird,
- bei der Frage, wer Zugang zu unseren Sozialleistungssystemen hat und konkret bei der Ausgestaltung, was „pflichtgemässes Ermessen“ von Behörden bedeutet, nämlich oft zu Lasten von Betroffenen.
- Das Recht wird auch von denen gebeugt, die von Berufs wegen Personen nicht nach Augenschein bewerten sollen: Konkret meine ich racial profiling in Reihen der hessischen Polizei. Und wer jetzt einwendet, das sei kein hessisches Problem und außerdem würde die Polizei nur ihre Arbeit machen, der sei daran erinnert, dass bei der hessischen Polizei insgesamt 67 rechte Chatgruppen identifiziert wurden. Das sind dann sicher keine Einzelfälle mehr. So sagte die ehemalige Chefin des Landeskriminalamts, Sabine Thurau, im vergangenen Herbst, die Polizei habe ein Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus
- Die Wohnungsnotfallhilfe einen Negativ-Preis ausgelobt, um den sich keine Kommune freiwillig bewirbt, weil er das Image schadet: Der verbogene Paragraf. Seit 2004 verleiht der Evangelische Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe e.V. (EBET) Wohnungsnotfall- und Straffälligenhilfe (vormals Evangelische Obdachlosenhilfe in Deutschland e. V.) alle zwei Jahre den Verbogenen Paragrafen an öffentliche Stellen um auf systematisch gravierende Missstände und rechtswidrigen Verwaltungsvollzug hinzuweisen. Im letzten Jahr war es der Vogtlandkreis.
Heute ist Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut.
Zum internationalen Tag für die Beseitigung der Armut am 17.Oktober erinnert die Diakonie Hessen daran, dass globale Entwicklungsziele, wie die Beendigung von Armut, nur erreicht werden können, wenn sich viele Menschen an vielen Orten weltweit dafür einsetzen – auch in Hessen. Mit der Agenda 2030 legten die Vereinten Nationen 17 Entwicklungsziele für Nachhaltigkeit, die Social Development Goals (SDGs), fest. Die Beendigung von Armut und die Gewährleistung hochwertiger Bildung finden sich genauso im Zielkatalog wie die Bekämpfung des Klimawandels oder der Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher und nachhaltiger Energie für alle“, sagt Carsten Tag, , Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen und ergänzt: “Bereits im Jahr 2015 wurde also deutlich gemacht: Fragen von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit lassen sich nicht trennen, beide gehören zusammen, damit ein Leben in Würde und der Schutz von Natur und Planet auf Dauer gelingen“.
Damit der Spagat gelingt, arbeitet die Diakonie Hessen mit vielen verschiedenen Bausteinen:
- Mit der Aktion #waermewinter von Diakonie und Evangelischer Kirche wollen wir Menschen unterstützen, indem wir beispielsweise unsere Räume im Winter öffnen. Wir verstehen ‚Wärme‘ auch als ‚Herzenswärme‘. Ein ideales Beispiel sind unsere Bahnhofsmissionen in Frankfurt, Kassel, Fulda, Gießen und Bad Hersfeld. Menschen können sich dort aufwärmen, finden ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte und bekommen warme Getränke.
- Auch armutsbetroffene Kinder und Jugendliche sind im Fokus. So zum Beispiel mit einem Projekt, das über die Stiftung DiaKids Schwimmkurse für benachteiligte Kinder finanziert.
Wer sind unsere Stakeholder? Im Strategiepapier der Diakonie Hessen Stärken. Fördern. Mitgestalten bis 2027 heißt es:
„Mit dem Begriff stakeholder sind sowohl interne als auch externe Interessengruppen gemeint, die zum Erfolg der Diakonie Hessen beitragen (vor allem Mitglieder, Kirchen, Politik/Gesellschaft, Mitarbeitende).“
Wer fehlt? Das soll ein letztes Beispiel deutlich machen:
Der Mainzer Bäckermeister Volker Schmidt-Sköries will einen neuen Gesellschafter für seine Bäckereikette Bio-Kaiser eintragen lassen, und zwar: die Bienen. Denn in seinen Backstuben verwendet er Produkte, die es ohne Bienen nicht gäbe, Äpfel für den Apfelkuchen zum Beispiel, so argumentiert Schmidt-Sköries, deshalb sollen die Bienen auch am Gewinn beteiligt werden. Als einer der Pioniere der ethischen Unternehmensführung ist es sein Ziel, die Wertschöpfung auszubalancieren und Gewinne fair zu verteilen. Ein Drittel schüttet er an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, ein weiteres an gesellschaftliche Stakeholder wie Künstler oder Obdachlose. Das letzte Drittel bleibt bei den Gesellschaftern, zu denen auch eine gemeinnützige Stiftung gehört. Bislang aber fehlt in dieser Wertschöpfungskette die Beteiligung der Natur, und dies will der Bäcker ändern. Ob das Amtsgericht seinem Anliegen folgt, vermag er nicht zu sagen, doch ihm ist es wichtig, das Thema zu setzen, dass die Natur Rechte benötige.
Kassel, den 17.10.2022
Uwe Seibel, Referent für Gemeinwesenarbeit