Andacht von Pfarrer Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen
Wir befinden uns auf den ersten Seiten der Bibel. Sie erzählen von Menschen, die sich lieben und streiten, von tödlicher Eifersucht, komplizierten Familienverhältnissen, von Lug und Trug, von Scheitern und Neuanfängen.
Mit diesen Menschen schreibt Gott Geschichte(n). Mit Menschen, die glauben und zweifeln. Mit Menschen, die sich an seine Verheißungen klammern, auch wenn sie lange auf ihre Erfüllung warten müssen.
Mit Menschen wie Abram und Sarai. Ihre Geschichte beginnt mit einem verhängnisvollen Satz: „Aber Sarai war unfruchtbar und hatte kein Kind.“ (Gen. 11, 30)
Letzten Endes geht die Geschichte -wie wir wissen - gut aus. Und das hat ganz wesentlich mit Hagar, der Magd von Sarai zu tun: auf Bitten ihrer Herrin stellt sich Hagar als Leihmutter zur Verfügung. Und siehe da: bald wird sie schwanger. So erwünscht dies war, so kommt es dennoch bald schon zu Spannungen zwischen Sarai und Hagar. Die schwangere Hagar weiß irgendwann keinen Ausweg mehr und flieht in die Wüste Schur. Erschöpft lässt sie sich an einer Wasserquelle zu Boden fallen. In ihrem Elend mutterseelenallein vergräbt sie ihr Gesicht in den Händen und weint. Leise nähert sich ihr ein Engel Gottes, berührt sie und spricht mit ihr.
Hier passiert Unglaubliches im Leben von Hagar. Sie ist die erste Frau in der Bibel, die Gott durch seinen Boten persönlich anspricht! Vom Engel wahrgenommen und mit ihrem Namen angesprochen bekommt sie ihre Würde zurück. Bisher hatte sie zu befolgen, was ihre Herrin befahl. Jetzt wird sie gefragt: „Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin?“ Eine alltäglich anmutende Frage wird an dieser Stelle zu einer existentiellen.
In der Begegnung mit dem Boten Gottes erfährt sie Gott selbst und kommt zu der Erkenntnis:
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (Gen. 16, 13)
Das ist für Hagar der Name Gottes und zugleich ihr persönliches Glaubensbekenntnis! Diese Erkenntnis richtet sie auf und verwandelt sie von der Dienerin Sarais zur von Gott angesehenen und gesegneten Hagar.
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Das wünsche ich Ihnen und uns allen im neuen Jahr: immer wieder neu erfahren zu dürfen: ich werde gesehen! Ich werde gesehen, wahrgenommen und wertgeschätzt: von den Menschen um mich herum – zu Hause in der Familie, im Beruf bei der Arbeit. Ich werde gesehen, wahrgenommen und wertgeschätzt: von Gott, dem Schöpfer allen Seins, der mir durch den Heiligen Geist jeden Augenblick neu die Kraft zum Leben gibt.
So gesehen, wahrgenommen und wertgeschätzt darf ich meinerseits in meinen Begegnungen zum Boten Gottes werden und so etwas zum ewigen Kreislauf des Segens beitragen!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein frohes, erfülltes und gesegnetes Neues Jahr 2023!
Frankfurt, den 9. Januar
Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender
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