Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Kraft des Heiligen Geistes sei mit uns allen.
Liebe Schwestern und Brüder
„Wer soll das bezahlen?“ Diese Frage aus einem alten Karnevalsschlager beschäftigt nicht nur Sie als Synode. Sie führt auch mitten hinein in die Diskussion um die Finanzierbarkeit von Pflege. Und sie ist auch Teil unseres Predigttextes heute Morgen. Doch dazu später mehr.
Es ist Dezember 2020. Eigentlich arbeitet die ehemalige Diplom-Pflegewirtin Brigitte Teigeler als Journalisten. Doch als sie von dem Hilferuf einer Pflegeeinrichtung hört, ist sie geschockt und will helfen.
Wie ein Feuersturm sei der Virus über die Einrichtung hinweggefegt, erzählt ihr der Heimleiter.
Ein Drittel der 77 Bewohner und Bewohnerinnen und viele Pflegekräfte haben sich mit dem Corona-Virus infiziert. Zwölf Pflegende mussten in Quarantäne - zu viele, um die Menschen, die in der Einrichtung leben, noch versorgen zu können. Fünf Tage wird Brigitte Teigeler in der Pflegeeinrichtung aushelfen. Ausgestattet mit Schutzmaterialen und einer kurzen Einweisung in die Hygienemaßnahmen geht es auch schon los.
Sie mobilisiert Corona infizierte Bewohner*innen, begleitet sie bei Toilettengängen, wechselt Inkontinenzvorlagen, cremt wunde Hautstellen ein, verabreichet Medikamente und reicht Getränke und Mahlzeiten an. Einmal pro Schicht macht sie eine Pause, isst schnell ein mitgebrachtes Brot, trinkt nur wenig, um ja nicht auf die Toilette zu müssen. Überhaupt ist gar keine Zeit, um Pausen zu machen. So viele Bewohnerinnen und Bewohner, die Unterstützung benötigen, so viel zu tun.
Am Ende jeder Schicht ist sie körperlich geschafft aber auch erleichtert, endlich die Schutzkleidung ablegen und wieder frei atmen zu können. Nicht nur ihr geht es so, auch den anderen Pflegenden, vor allem denjenigen, die zum Stammpersonal gehören. Viele von ihnen übernehmen in den ersten Tagen nach dem Corona-Ausbruch freiwillig zusätzliche Schichten und arbeiten an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Das was die Journalistin nur fünf Tage erlebte, ist für viele Pflegende Alltag. Warum tun sich diese Menschen das an? Fragt man sie, antworten viele: „Ich liebe meinen Beruf. Ich weiß, was gute Pflege bewirken kann.“
Liebe Schwestern und Brüder, im Markusevangelium lese ich im 6. Kapitel die Geschichte von der Speisung der Fünftausend und stolpere über die Eingangsszene. Denn ich sehe Parallelen zu dem was sie Jünger erleben und dem, was heute Alltag für Pflegende ist.
Die Jünger waren allein unterwegs und kommen gerade zu Jesus zurück. Markus schreibt dann:
Sie (die Jünger) berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Er sagte zu ihnen: »Kommt mit an einen ruhigen Ort, nur ihr allein, und ruht euch ein wenig aus.« Denn ständig kamen und gingen die Leute. Sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen.
Die Jünger müssen ziemlich müde gewesen sein. Neben der anstrengenden Arbeit waren sie wohl auch in Trauer und Sorge um die eigene Zukunft. Denn sie hatten gerade von dem gewaltsamen Tod Johan-nes des Täufers erfahren. Jesus sieht, dass sie dringend Ruhe brauchen, doch ständig kommt jemand und will was von ihnen. Sie finden noch nicht einmal Zeit zum Essen. Vielen Pflegenden geht es ähnlich. Aber nicht nur ihnen. Die Gefahr, dass zu viel Arbeit als belastend empfunden wird und unter Umständen krank macht, betrifft auch andere. Ich denke da zum Beispiel an diejenigen, die in Kirche und Diakonie aufgrund von Stellenabbau immer mehr Aufgaben übernehmen müssen, oder auch an diejenigen, die sich vielfach ehrenamtlich sozial engagieren. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Ein Termin jagt den nächsten. Keine Zeit zum Essen, keine Zeit zum Erholen.
Es gibt doch noch so viel zu tun. Jesus sieht, wie müde seine Jünger sind, und er sagt dann diesen wundervollen Satz zu ihnen: "Kommt mit an einen ruhigen Ort, nur ihr allein, und ruht euch ein wenig aus." - Das ist Balsam für die Müden! Markus schreibt dann weiter: "Also fuhren sie mit dem Boot an eine abgelegene Stelle, um für sich allein zu sein. Die Leute sahen sie abfahren, und viele erkannten, wo sie hinwollten. So strömten sie auf dem Landweg aus allen umliegenden Orten herbei und kamen noch vor ihnen dorthin. Als Jesus ausstieg, sah er die große Volksmenge. Da bekam er Mitleid mit den Menschen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Darum lehrte er sie lange. So vergingen viele Stunden.“
Ich frage mich, was müssen seine Jünger wohl empfunden haben, als es dann doch nichts wurde mit der versprochenen Auszeit? Waren sie enttäuscht? Oder haben sie sich gedacht, okay, das ist eine Ausnahmesituation. Wir sehen die Not der Menschen. Dieses eine Mal stellen wir unsere Bedürfnisse zurück, aber das kann und darf kein Dauerzustand sein. Was Pflegende leisten, ist außergewöhnlich. Sie kompensieren den Ausfall vieler Kolleginnen und Kollegen, machen unzählige Überstunden. Nicht selten halten sie in der Pandemie das Leid und die Einsamkeit derjenigen aus, die im Moment kaum gesehen werden – alte und an Demenz erkrankte Menschen, die nicht verstehen können, was da gerade passiert. Menschen, die allein wohnen und von ihrer Umwelt isoliert leben. Pflegende arbeiten mit dem ständigen Risiko, sich selbst und andere anzustecken. Manchmal werden sie sogar stigmatisiert – denn wer möchte schon gerne Menschen treffen, die im Kontakt mit Covid-19-Patienten stehen?
Pflegende sind wie die Jünger. Pflegende sind aber auch wie das Volk, das Hunger hat, das Halt und Orientierung sucht. Als die Jünger sehen, dass das Volk Hunger hat, machen sie Jesus den Vorschlag sie wegzuschicken, damit sie sich in der Umgebung etwas zu essen kaufen können. Doch Jesus antwortet ihnen „Gebt doch ihr ihnen etwas zu essen." Und sie entgegnen ihm: "Sollen wir etwa losgehen und für 200 Silberstücke Brot kaufen und es ihnen zu essen geben?“
Hier ist sie also, diese Frage: „Wer soll das bezahlen?“
Mich erinnert diese Szene an die Debatte um die Finanzierung von Pflege. Das können wir uns doch alles gar nicht leisten. Das ist doch alles viel zu teuer. Die Jünger fühlen sich überfordert und auch nicht zuständig. Doch Jesus fragt sie: „Wie viele Brote habt ihr dabei? Geht und seht nach." Als sie es herausgefunden hatten, sagten sie: "Fünf, und zwei Fische." Dann nahm Jesus die fünf Brote und die zwei Fische. Er blickte zum Himmel auf und dankte Gott. Sie teilten und aßen, und alle wurden satt.“
Das Entscheidende kommt zum Schluss: Jesus nimmt die Brote und die Fische, blickt zum Himmel auf und dankt Gott. Er tut dies in dem Glauben, dass Gott es ist, der uns gibt, was wir zum Leben brauchen. Und wir, die wir Jesus nachfolgen, geben seine Gaben an das Volk weiter. Im Vertrauen auf Gottes Kraft und seinen Segen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Dr. Carmen Berger-Zell zum Eröffnungsgottesdienst Frühjahrssynode EKHN 2021