Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt ist in Deutschland weiter gestiegen. Trotz Istanbul-Konvention und Fortschritten in Hessen besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf. So ist z.B. die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt allein in Rheinland-Pfalz laut Kriminalstatistik in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent gestiegen und lag im Jahr 2023 bei 13.810. Ähnlich sieht es in Hessen aus. Wir haben mit Birte Prawdzik, Leiterin des diakonischen Frauenhauses in Wiesbaden, unter anderem über die Bedeutung der Istanbul-Konvention für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen gesprochen.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland und speziell in Hessen ein?
Es tut sich etwas in diesem Bereich, wenn auch oft nur tröpfchenweise und manchmal ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch in Hessen steigen die Zahlen häuslicher Gewalt weiter an: im Jahr 2023 wurden 12.000 Fälle häuslicher Gewalt erfasst, was einen Anstieg um 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt.
Wichtig ist aber, dass es die Istanbul Konvention gibt. Dadurch setzen sich insgesamt mehr Menschen mit dem Thema auseinander, also auch in der Politik. So gibt es auf dieser Ebene den Versuch der Regierung das sogenannte Gewalthilfegesetz auf den Weg zu bringen, das Betroffenen von häuslicher Gewalt einen Rechtsanspruch auf Hilfe und Schutz garantiert.
Was hat sich seit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention tatsächlich für Frauen und Mädchen in Hessen verbessert?
Es werden mehr Gelder für verschiedene Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Dadurch können Frauenhäuser anders gestaltet werden. Früher teilten sich die Frauen Zimmer mit ihren Kindern, es gab Gemeinschaftsbäder und -küchen. Mittlerweile gibt es die Tendenz zu Appartementlösungen, wie wir sie auch in unserem Frauenhaus haben. Die Frauen wohnen selbstständig mit eigener Küchenzeile und Bad und die Kinder bekommen ebenfalls eigene Zimmer. Das erhöht die Lebensqualität immens und ermöglicht grundsätzlich die Aufnahme von Frauen mit älteren Söhnen. [Anm.d.Red.: In vielen Frauenhäusern dürfen Söhne gewaltbetroffener Frauen ab einem bestimmten Alter nicht mehr untergebracht werden.] Eine solche Appartementlösung, sollte der Mindeststandard sein, ist aber noch die Ausnahme.
Gibt es Ihrer Meinung nach auch Aspekte, die sich verschlechtert haben? Wo sehen sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Die allgemeine Wohnungsversorgung verschärft die Situation. Es gibt kaum mehr bezahlbaren Wohnraum und die Frauen finden keine geeignete Wohnung, um auf eigenen Beinen zu stehen. Dadurch bleiben sie länger als gewollt im Frauenhaus und dann fehlen bei uns die Plätze, um neue Frauen aufzunehmen.
Auch im Sorge- und Umgangsrecht sehen wir Handlungsbedarf, denn oft wird den Vätern zu früh Kontakt zugestanden. Der Kontakt zu den gewalttätigen Vätern stellt sowohl für die Kinder als auch für die Frauen eine Gefährdung dar.
Wir blicken immer wieder nach Rheinland-Pfalz. Dort gibt es eine gut funktionierende Zusammenarbeit mit den Behörden, mit der Polizei und Justiz. Da ist es auch mal möglich kreative Lösungen für die Täter zu finden und ihnen beispielsweise ein Fahrverbot aufzuerlegen, wenn häusliche Gewalt stattgefunden hat. Da denken wir uns: „So wie in Rheinland-Pflanz müsste es doch überall möglich sein“.
Hintergrund
Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen entstand bereits 1981, als feministische Aktivistinnen in der Dominikanischen Republik diesen Tag zum Gedenken an die Mirabal-Schwestern wählten. Patria, Minerva und María Teresa Mirabal wurden am 25. November 1960 Opfer des brutalen Trujillo-Regimes, das ihrem unerschütterlichen Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit ein Ende setzte. Seitdem sind sie Symbolfiguren für Mut und den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. 1999 erklärten die Vereinten Nationen den 25. November offiziell zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen – ein weltweites Signal, das zu internationaler Zusammenarbeit und einem Bewusstsein für dieses Thema aufruft.