Vertreter der evangelischen Kirche und der Diakonie haben in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Montag dafür plädiert, auch in kirchlich-diakonischen Einrichtungen einen assistierten professionellen Suizid zu ermöglichen. Pfarrer Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen sieht in der Sterbehilfe ein ethisches Dilemma, auf das es keine einfache Antwort gibt. Den Gastbeitrag der drei evangelischen Theolog*innen in der F.A.Z versteht er als einen wichtigen Beitrag zu dieser komplexen Debatte um das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Der Landesverband wird die Diskussion mit seinen Mitgliedern nach der Bewältigung der COVID 19-Pandemie wieder aufnehmen und ergebnisoffen führen.
Pfarrer Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, sagt dazu weiter:
„Wesenskern unseres diakonischen Engagements ist es, schwerstkranke und sterbende Menschen, die in unseren Pflegeeinrichtungen leben, von ambulanten Pflegediensten daheim oder in unseren Krankenhäusern versorgt werden auch in der Sterbephase medizinisch, pflegerisch und seelsorglich bestmöglich zu begleiten und sie im Sterben nicht allein zu lassen. Wenn nun ein schwerstkranker Mensch für sich die Entscheidung trifft, nicht mehr leben zu wollen, stellt dieser Ausdruck von Selbstbestimmung die bisherigen Konzepte diakonischer Einrichtungen in einem elementaren Punkt in Frage. Beistand bedeutet einerseits, die individuelle Entscheidung anzuerkennen, andererseits wäre es verfehlt einfach voraus zu setzen, es gäbe ein Recht auf assistierten Suizid und dieses könnten einfach in bestehende Konzepte integriert werden.
Grundsätzlich wird hier ein ethisches Dilemma deutlich, für das es keine „gute“, also einfache und jederzeit nachvollziehbare Antwort gibt: hier das Recht auf Selbstbestimmung bis in den Tod hinein, dort der Respekt vor dem Leben als aus christliche Sicht geschenktes Leben. So gibt es also kein eindeutiges „richtig“ oder „falsch“ in christlicher Perspektive, sondern nur mehr Versuche der Annäherung. Aus theologischer Perspektive werden wir nicht durch unsere Taten „gerechter“ oder „besser“ vor Gott dastehen. Das Ja, das Gott uns zuspricht, gilt auch dann, wenn wir uns schuldig machen sollten. Aus dieser Freiheit heraus sind wir aufgerufen, als Individuen unsere Entscheidungen sorgfältig abzuwägen – und als Gesellschaft, den Rahmen dafür zur Verfügung zu stellen, so dass ich als Einzelner nach Möglichkeit mehrere Handlungsoptionen habe.
Vor diesem Hintergrund befürworten wir die in dem Artikel skizzierte Position der Autoren als Denkanstoß – immer in dem Wissen darum, dass uns die Ermöglichung eines assistierten Suizides als Gesellschaft – und als Kirche und Diakonie erst recht – in mehrfacher Weise besonders fordern würde: indem wir alles dazu beitragen müssten, dass insbesondere schwerstkranken und sterbenden Menschen ein würdiges (d.h. nach Möglichkeit auch weitgehend schmerzfreies) Leben bis zum Schluss ermöglicht werden muss. Auch müssten wir umfassende Beratungssysteme vorsehen, die helfen, eine solche irreversible Entscheidung verantwortungsvoll zu treffen. Und wir müssten die Angehörigen und Freunde mit einbeziehen – und schlussendlich, indem wir eine Entwicklung verhinderten, die dazu führen könnte, den Wert des Lebens eines Schwerstkranken herab zu mindern oder es als Belastung ansehen.
In der Begleitung von schwerstkranken und sterbenden Menschen kommt es immer wieder vor, dass Menschen äußern, sie wollen nicht mehr leben. In aller Regel meinen sie damit, ich will so nicht mehr leben, etwa mit unerträglichen Schmerzen oder mit Atemnot. Sobald diese Beschwerden gelindert werden können, verschwindet in den allermeisten Fällen auch der Wunsch zu sterben.
Darum ist es uns so wichtig, eine gute Palliativversorgung und hospizliche Begleitung sicherzustellen. Was für eine richtig zufriedenstellende Umsetzung individueller Wünsche am Lebensende fehlt, sind vor allem ausreichend Pflegekräfte. Ohne sie ist das nur bedingt möglich. Wir können nicht zulassen, dass im Umkehrschluss Sterbehilfe quasi institutionalisiert wird.“
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HINTERGRUND
Palliativversorgung und hospizliche Begleitung in der Diakonie Hessen
Alle Pflegeeinrichtungen unter dem Dach der Diakonie Hessen verfügen über ein differenziertes Konzept für die Begleitung ihrer Bewohner*innen am Lebensende. Dabei werden von den Mitarbeitenden in der Pflege im Rahmen der Biografiearbeit frühzeitig die Bedürfnisse und Wünsche der Bewohner*innen erfragt. Nachdem das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung 2015 verabschiedet wurde, bieten außerdem immer mehr Einrichtungen ihren Bewohner*innen auch eine spezielle Vorsorgeplanung für die letzte Lebensphase an.
Digitaler Hospiztag am 20. März
In Kooperation mit kirchlichen Akteuren aus der Hospizarbeit und Sterbebegleitung in der EKHN und EKKW veranstaltet die Diakonie Hessen am 20. März einen digitalen Hospiztag und möchte damit eine Debatte mit den Einrichtungen anstoßen.