Die Zahlen im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der letzten Bundesregierung belegen: Armut in Deutschland verfestigt sich, Reichtum ist immer ungleicher verteilt. Das spürt auch die 72-jährige Beate U. (Name geändert) aus dem Rhein-Main-Gebiet. 20 Jahre war sie ausschließlich für die Familienarbeit zuständig. Nach der Scheidung von ihrem mittellosen Mann machte sie sich als Taxifahrerin selbstständig. Mit der Pandemie brachen die Einnahmen ein, die wenigen Ersparnisse waren schnell aufgebraucht, Rechnungen häuften sich. Der mit Scham besetzte Gang zum Sozialamt war die Folge. Beate U. muss jetzt mit monatlich 446 Euro über die Runden kommen. Zu ihrer ohnehin schon angeschlagenen Gesundheit belasten sie nun auch Schlafprobleme und depressive Gedanken. Seit kurzem sucht Beate U. die Allgemeine Sozialberatung eines Diakonischen Werks in der Diakonie Hessen auf, wo Berater*innen sie fachlich begleiten und unterstützen. So wie ihr geht es immer mehr Menschen in Deutschland. Jede fünfte Frau über 65 ist in Deutschland laut Statistischem Bundesamt von Armut betroffen.
Konsequenter Einsatz gegen Armut nötig
„Wir dürfen es als Gesellschaft nicht hinnehmen, dass so viele Menschen in Deutschland in Armut leben“, sagt Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen zum Tag für die Beseitigung der Armut. „Von der neuen Bundesregierung erwarten wir, dass sie sich künftig konsequent gegen Armut einsetzt.“ Die Regelsätze der Grundsicherung seien zu niedrig und reichten nicht aus für eine menschenwürdige Existenzsicherung. Wie in vielen deutschen Städten, stiegen auch in hessischen Ballungszentren die Mieten, so dass Geringverdienende sich ihre Wohnungen kaum noch leisten könnten. Carsten Tag: „Es darf nicht sein, dass sich Menschen in einem wohlhabenden Land wie Deutschland und in dem so wirtschaftlich starken Hessen am Ende des Monats kein warmes Essen mehr leisten können. Insbesondere die Kinder leiden unter der Armut ihrer Eltern. Ihnen muss es möglich sein, ein Leben – auch mit Freizeitaktivitäten – zu führen, das für ihre Altersgenoss*innen selbstverständlich ist.“
Armut in Deutschland – nicht nur am Tag der Armut ein Problem
Die Bundesregierung der vergangenen Legislaturperiode habe zuletzt eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze um drei Euro beschlossen. „Das ist angesichts der wachsenden Inflation und gestiegenen Lebenshaltungskosten durch die Corona-Krise ein Schlag ins Gesicht armutsbetroffener Menschen“, ergänzt Dr. Melanie Hartmann, Referentin für Armutspolitik und Bahnhofsmission bei der Diakonie Hessen. „Das Problem ist hinlänglich bekannt; uns fehlt es nicht an Studien oder Daten zu Armut in Deutschland. Was wir nun brauchen, sind ein nachhaltiger Einsatz und engagierte Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut, und zwar auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen.“
Forderungen der Diakonie Hessen
Die Diakonie Hessen hat in ihrem Positionspapier „Unerhört. Sozial. Bundesweit.“ Forderungen an die künftige Koalition zusammengestellt. Konkret fordert die Diakonie Hessen die neue Bundesregierung auf:
- die Regelsätze der Grundsicherungen monatlich deutlich anzuheben
- eine armutsfeste, einkommensabhängige Kindergrundsicherung einzuführen
- die notwendige ökologische Transformation nachhaltig und sozial gerecht zu gestalten
- das Steuer- und Abgabesystem so umzuformen, dass Wohlstand gerechter verteilt wird
- Bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen
Weitere Infos zum Tag der Armut und mögliche Risikofaktoren, die Armut begünstigen können, gibt es auf unserer Themenseite.