Die Diakonie Hessen hat am 14.3.2023 ihre Einrichtungen und Dienste zu einem Fachtag nach Hanau in die Martin-Luther-Stiftung eingeladen. Das Thema lautete: „Recht auf Leben bis zuletzt?! – Umgang mit dem Recht auf Assistierten Suizid“. Gemeinsam wurde diskutiert, wie das Recht jedes einzelnen auf assistierten Suizid und die grundsätzliche diakonische Überzeugung, dass jedes Leben bis zuletzt wertvoll ist, zusammen gedacht werden können. Töten auf Verlangen, auch aktive Sterbehilfe genannt, ist in Deutschland verboten. Der Assistierte Suizid hingegen ist möglich. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 ist §217 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, der bis dahin die geschäftsmäßige Förderung der Suizidassistenz untersagte. Diakonie und evangelische Kirche setzen sich seitdem intensiv mit möglichen Auswirkungen der Entscheidung für die Gesellschaft auseinander. Diakonischen Einrichtungen steht es nach aktueller Rechtslage offen, Suizidassistenz zu leisten.
Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen Carsten Tag dankte den Anwesenden für ihre Bereitschaft, sich auf das Thema einzulassen. Es sei ein Zeichen des diakonischen Miteinanders, sich Zeit und Raum zu nehmen, um über schwierige Fragen im Gespräch zu sein. „Ich habe den Eindruck, dass es hier keine einfachen, keine leichten Antworten gibt. Das verbindet uns – und auch der Respekt vor den unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten, die uns in den verschiedenen Kontexten vielleicht näher oder vielleicht auch ganz fremd sind“, so Carsten Tag. Zugleich würdigte er die Arbeit vor Ort: „Mit Sterbewünschen konfrontiert zu sein, ist eine Herausforderung, der sich die Mitarbeitenden in den Diensten und Einrichtungen immer wieder neu stellen müssen.“ Der Diakonie Hessen ist es ein Anliegen, die Kolleginnen und Kollegen für diese Aufgaben zu stärken.
Mit dem Palliativmediziner Dr. Thomas Sitte und dem Theologen Prof. Dr. Ralf Frisch standen am Fachtag zwei profilierte Gesprächspartner zur Verfügung. Der erste Vortrag von Thomas Sitte widmete sich der Frage „Der Wunsch nach dem schnelleren Tod, wie weit muss ich mitgehen?“ Sitte betonte: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden können. Das gilt gerade auch für das Ende des Lebens. Um zu wissen, was ein Mensch dann will, brauchen wir verlässliche Aufklärung statt allgegenwärtiger Halbwahrheiten und Desinformationen.“ In seinem Vortrag mit dem Thema „Selbstbestimmt Sterben – Warum nicht?“ bezog Ralf Frisch eine andere Position: „Die christliche Diakonie muss in der Debatte um den assistierten Suizid im Blick behalten, dass es Situationen gibt, in denen die Selbstbestimmung des Menschen gerade um der Menschenwürde des Individuums willen vor sich selbst geschützt werden muss. Christinnen und Christen in der Diakonie jedenfalls sollten nicht einfach fröhlich das Hohelied der Selbstbestimmung mitträllern, weil ihnen die Melodie gefällt. Sie sollten sich immer auch selbstkritisch fragen, was genau das Christliche und das Diakonische an diesem Liedtext ist, ob es überhaupt ein christlicher Liedtext ist und ob und zu welchem Preis er in der Diakonie gesungen werden sollte.“
Am 26. Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht den Paragrafen 217 StGB zum „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Beihilfe zum Suizid“ für ungültig erklärt. Die Entscheidung stellt fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Damit geht die Freiheit einher, selbstbestimmt das eigene Leben zu beenden. Dies schließt die Möglichkeit ein, hierfür die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Beihilfe zum Suizid heißt, dass bei der Selbsttötung geholfen wird, zum Beispiel, indem ein tödliches Mittel beschafft oder bereitgestellt wird. Ein entscheidendes Kennzeichen in Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen ist, dass der Patient das Medikament selbst einnimmt.
Das Urteil betont zugleich, dass es keine Verpflichtung zur Suizidassistenz geben kann. Nach der Orientierungsdebatte und der ersten Lesung im Bundestag liegen aktuell drei Gesetzesinitiativen vor, wie die Sterbehilfe in Deutschland neu geregelt werden könnte. Wie bei Fragen der Ethik üblich, gibt es für die Parlamentarier*innen keinen Fraktionszwang. Der parlamentarische Prozess wird begleitet durch eine zivilgesellschaftliche Debatte. Sie erfordert Positionierungen der evangelischen Kirche und der Diakonie – und ebenso die Diskussion innerhalb von Kirche und Diakonie darüber, wie im Rahmen christlicher Einrichtungen der freie Wille von Menschen auch in einer solchen Grenzsituation zu respektieren ist.
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Dr. Angela Rascher
Referentin für Hospizarbeit und diakonisch-kirchliche Kultur
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