Stationäre Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste geraten zunehmend unter Druck. Insbesondere die wirtschaftliche Situation und Personalmangel bereiten Sorgen. Die Versorgung von Menschen, die Unterstützung und Pflege benötigen, ist gefährdet. „Es wird immer schwieriger, qualitative und menschenwürdige Pflege sicherzustellen“, so Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen. „In der Vergangenheit hatten die Pflegeeinrichtungen mehr finanziellen Puffer, der sie über schlechte Zeiten getragen hat. Nun müssen sie jeden Monat prüfen, ob alles ausreichend finanziert ist. Die Einrichtungen sind nicht mehr krisenfest. Es mussten bereits Wohnbereiche geschlossen werden und Neukunden müssen lange Wartelisten in Kauf nehmen. Die Situation ist prekär. Auch aus diesem Grunde fordern wir den Ministerpräsidenten Rhein auf, zu einem zweiten Sozialgipfel einzuladen, um die Situation im Gesundheits- und Sozialsektor in den Fokus zu rücken.“
Um sich ein Bild zu machen, wie es in den diakonischen Einrichtungen in Hessen aussieht, hat die Diakonie Hessen Ende Mai eine ad hoc-Umfrage auf Landesebene in den über 300 Einrichtungen in der Altenhilfe durchgeführt. An der Umfrage hatten knapp 100 Einrichtungen teilgenommen. Die Ergebnisse wurden am 16. Juni in einer Senioreneinrichtung des EVIM unter Anwesenheit von Politik und Presse der Öffentlichkeit vorgestellt. Erste Auswertungen zeigen: Die Versorgungssituation in der Pflege in Hessen ist prekär. Die Situationsabfrage ist der Beginn einer umfassenden Aktion der Diakonie Hessen und ihrer Mitgliedseinrichtungen, die auf die gefährdete Versorgungssicherheit in der Pflege aufmerksam machen soll.
Die Mehrheit der Pflegeeinrichtungen, die an der Umfrage teilgenommen haben, schätzt die künftige Liquidität schlechter ein als bisher. Ein Drittel sieht sich sogar von Insolvenz bedroht. Akuter Personalmangel führt dazu, dass 75 Prozent der Einrichtungen ihre Leistung in den vergangenen sechs Monaten einschränken mussten. Die Unterbelegung führt wiederum dazu, dass Einnahmen aus Pflege- und Unterbringungsleistungen wegbrechen, was sich negativ auf die Liquidität auswirkt. Auf der anderen Seite steigt, bedingt durch Faktoren wie Inflation, der Kostendruck. Aufgrund von bürokratischen Hürden bei der Refinanzierung müssen Einrichtungen oftmals in Vorleistung gehen. Die Vorfinanzierungsfähigkeit reicht jedoch bei über 42 Prozent der teilnehmenden Einrichtungen nicht einmal für einen Monat aus. Zusätzlich leidet die Attraktivität des Pflegeberufs. Offene Stellen bleiben länger oder zu lange unbesetzt. Die Lücke in der Versorgung wird oftmals über den Einsatz teurer Leiharbeit oder Überstunden beim Stammpersonal überbrückt. Dies kann zu einem höheren Krankenstand führen und die Arbeitsbelastung für das verbleibende Personal weiter erhöhen. „Seit Jahren wird im Gesundheitsreport der Krankenkassen über die hohe Ausfallquote in der Altenpflege berichtet. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Stellenschlüssel in der Pflege viel zu niedrig ist und bis jetzt hat sich nichts geändert“, ergänzt Frank Kadereit, Geschäftsführer der EVIM Gemeinnützige Altenhilfe GmbH.
„Wir haben einen Forderungskatalog erstellt. Mit weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung könnten Prozesse im Pflegesystem beschleunigt und vereinfacht werden. Wir benötigen dringend eine grundlegende Finanz- und Strukturreform, damit Pflege in Zukunft überhaupt noch bezahlbar ist. Zusätzlich brauchen wir für nachhaltig bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege mehr Rückendeckung von Seiten des Landes. Dazu gehört die Refinanzierung von flexibleren Arbeitsmodellen wie beispielsweise Springerpools und auch eine für Pflegeschulen ausreichend finanzierte Ausbildung“, so Sonja Driebold, Abteilungsleiterin der Diakonie Hessen.
Eine bundesweite Umfrage der Diakonie Deutschland und des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege hatte bereits Anfang Mai unter anderem ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Pflegeeinrichtungen und ambulanten Dienste in der Diakonie in den vergangenen sechs Monaten bereits Leistungen auf Grund von Personalmangel sowie wegen kurz- und langfristigen Erkrankungen von Mitarbeitenden einschränken mussten. Auch auf Bundesebene müssen die Einrichtungen und Dienste zunehmend ansteigende Kosten vorfinanzieren. Abhilfe könnte eine grundlegende Struktur- und Finanzreform der Pflege bieten. Das aktuelle Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz, das am 26. Mai im Bundestag verabschiedet wurde, zeigt indes: die große notwendige Reform der Pflege ist ausgeblieben. Die Pflege steht vor der Krise.
Ansprechpartnerin bei der Diakonie Hessen
Sonja Driebold
Abteilungsleiterin Gesundheit, Alter, Pflege (GAP)
Telefon +49 69 7947 6266
E-Mail: sonja.driebold@diakonie-hessen.de