Andacht von Joachim Sylla, Vertreter der Diakonie Hessen im Evangelischen Büro am Sitz der Landesregierung
Hessen hat gewählt. Das Ergebnis hat die meisten nicht überrascht, auch wenn viele sicherlich nicht damit zufrieden sind. Die alte Regierung ist voraussichtlich auch die neue. Der Wahlkampf wurde, zumindest von den demokratischen Parteien, so wie ich das empfunden habe relativ geräuschlos und routiniert geführt, große Skandale blieben aus. Man ging weitestgehend fair miteinander um. Da wo über die Stränge geschlagen wurde ruderte man auch mal zurück – und entschuldigte sich sogar. Das Wahlergebnis wurde selbstverständlich anerkannt. Niemand schrie Wahlfälschung oder Betrug. Das hat gutgetan, weil es leider nicht mehr selbstverständlich ist. Der Ton wird rauer. Der politische Gegner wird seltener einfach nur als Dialogpartner gesehen, mit dem man sich auseinandersetzen muss, sondern als ekelerregender Feind, den man mit allen Mitteln bekämpfen muss. Das ist vor allem in den USA und in Großbritannien der Fall aber leider auch zunehmend bei uns.
Nicht wenige sorgen sich mittlerweile um unsere Demokratie. Die Herausforderungen sind groß. Wirtschaftskrisen, Klimawandel, Krieg und Flüchtlingsströme. Einfache Lösungen auf die großen Fragen gibt es ehrlicherweise nicht. Davon profitieren die extremistischen Ränder, die den Menschen vorgaukeln, dass es sie gäbe.
Und so wird dazu aufgerufen, dass sich die demokratischen Kräfte der Gesellschaft zusammentun müssen. Auch die Kirchen sind werden dazu aufgefordert, das bekomme ich auch immer wieder im Dialog mit ParteipolitikerInnen zu hören: Bezieht Stellung; stellt euch doch klar auf unsere Seite; Lasset uns einstehen für Demokratie und Menschrechte. Die Hessischen Kirchen haben das auch getan nach langer Diskussion und vielem hin und her riefen sie sie dazu auf, die Äußerungen der Parteien am christlichen Menschenbild zu prüfen. Wer politische Verantwortung übernehmen will, muss sich daran messen lassen ob er einsteht für Menschlichkeit statt Fremdenhass, Weltoffenheit statt Nationalismus und Solidarität statt Diskriminierung.
Ähnlich war auch der Duktus auf der Jubiläumsfeier der Diakonie Deutschland, die am 22. September Berlin stattfand. Schon Wichern sprach vor 175 Jahren von einem Wendepunkt der Weltgeschichte, den wir, wenn auch in anderer Form, auch heute erleben, so Präsident Lilie. Unsere Gesellschaft steht in Gefahr auseinanderzubrechen, wenn Menschen an den Rand gedrängt und von der Teilhabe ausgeschlossen werden. Das hat Wichern damals klar erkannt und der Kirche, zu der damals wie heute meist die gehobene Mittelschicht gehört, schonungslos vorgehalten. Es genügt also nicht die richtige Lehre zu haben. Als Christinnen und Christen müssen wir, wenn wir glaubwürdig sein wollen, auch tätig werden, für den Nächsten da sein. Uns so kann man auch heute sagen: Es reicht nicht aus, sich nur richtig zu positionieren, sich auf die richtige Seite zu stellen. Es muss auch erkennbar sein, was der Mehrwert unserer christlichen Überzeugung ist.
Und Kirche kann mehr, so formuliert es zumindest Hartmut Rosa, der das Buch „Demokratie braucht Religion“ geschrieben hat. Darin schreibt er sinngemäß: Der Glaube bzw. Religion kann Räume schaffen, in denen wir innehalten. In denen wir aufeinander hören mit einander ins Gespräch kommen und den Mensch in unserem Gegenüber wahrnehmen. Demokratie braucht solche Resonanzräume in denen wir aufeinander wahrnehmen und so echte Lösungen, neue Wege finden können. Das können Angebote der Kirchengemeinden und auch der Diakonie sein. Kirche kann dabei helfen, die üblichen Mechanismen im Meinungsstreit zu durchbrechen und damit der Polarisierung entgegenzutreten Vielleicht mal etwas tun was keiner erwartet. Denn
Denn auch wir als Kirche, das stelle ich zumindest in meiner Arbeit fest, sind in Gefahr uns in einer Bubble zu bewegen. Wir bestärken uns gegenseitig in dem was wir für richtig halten – und vergessen darüber im Gespräch zu bleiben mit denen, die außen vor sind, die andere Probleme als wir haben und deshalb vielleicht nicht unsrer Meinung sind.
Was Kirche bzw. die in ihr wirkenden Menschen in festgefahrenen Situationen bewegen können, daran wurde ich erinnert als ich die Tage die Nachricht vom Tod von Pfarrer Uwe Holmer las. Sie erinnern sich vielleicht noch, das war der Pfarrer und Leiter einer Diakonischen Einrichtung in Lobetal bei Bernau, der Margot und Erich Honecker bei sich wohnen ließ, als die beiden quasi obdachlos waren. Niemand wollte sie aufnehmen oder etwas mit ihnen zu tun haben. Nicht ganz zu Unrecht – Argumente gab es genügend. Honecker war ein Verbrecher. Die Enteignungen, die Schüsse an der Mauer, der Druck auf die Kirche und die Schikanen, denen Gläubige ausgesetzt waren. Keines der acht Kinder von Pfarrer Holmer hatte trotz sehr guter Leistungen Abitur machen oder studieren dürfen.
Und so saß der Mann, der für all das verantwortlich war gemeinsam mit seiner Frau zuhaue bei Holmers am Tisch. Pfarrer Holmer wurde dafür schwer kritisiert und angegriffen. Er wurde als „roter Pastor“ bezeichnet und Demonstranten versuchten das Pfarrhaus zu stürmen. Sogar eine Bombendrohung gab es. War so viel Nächstenliebe nicht zu viel verlang? Relativierte er nicht die Verbrechen dieses Mannes, wenn er ihm half? Holmer entgegnete, dass er Honecker nicht amnestiert habe. „Er muss sich schon selbst für das verantworten, was er getan hat, aber ich wollte den Groll gegen ihn nicht länger in meinem Herzen tragen. Die Vergebung macht mir das leichter“. „Das Unrecht ist eine Wirklichkeit“, schrieb er in einem offenen Brief an die Bevölkerung. Aber erschreckend war es für ihn, wie hasserfüllt manche Menschen reagierten. Dies ist, so sagte er, keine gute Ausgangsbasis für unser Volk.
Für mich steht diese Geschichte von der Pfarrfamilie Holmer exemplarisch, für eine zutiefst christliche Haltung. Eine Haltung, die Bewegung in verfahrene Situationen bringen kann, wenn man festgefahrene Fronten überschreitet, etwas tut womit keiner rechnet. Barmherzigkeit üben, an Menschen, die eigentlich keine Barmherzigkeit verdient haben. Mit Gegnern als Menschen ins Gespräch kommen, und dabei auf etwas hinweisen, was jenseits der gängigen Fronten, jenseits der klassischen Kategorie von Gut und Böse liegt. Dies vorzuleben ohne die eigene Position zu verwässern, ist sicherlich nicht einfach. Aber das kann Kirche leisten, wenn sie selbst auf einem festen Grund steht, so wie es auch im Wahlaufruf formuliert wurde. Vielleicht können Glaube und Religion so wieder vermehrt einen Platz in unserer Gesellschaft einnehmen, der leider sonst häufig lehr bleibt.
Gebet
Ich blicke hinauf
Zu den Bergen, deren Gipfel
Bis in den Himmel
Emporragen, und frage:
„Woher kommt Hilfe?“
Wo spüre ich die Kraft,
die alles Sein
ins Leben gerufen hat?
Meine Schritte tasten umher,
sie suchen nach Sicherheit,
in einer Zeit
in der so vieles
in Frage steht
und der Blick in die Zukunft
mir Angst macht.
Ich vertraue darauf,
dass Du mich nicht aus den Augen
deiner Liebe verlierst.
Die Gefahren
Die überall in der Welt lauern,
können mir nichts anhaben,
denn das Licht
des Himmels, dein ewiges Wort
wird sie vertreiben
bei Tag und bei Nacht.