Frauen und ihre körperlichen Bedürfnisse werden auf dem Gebiet der Gesundheit viel zu oft nicht mitgedacht. Stereotype Zuschreibungen und Vorurteile gegenüber Frauen und Mädchen aus aller Welt beeinflussen auch die medizinische Betreuung. Der sogenannte Gender Data Gap ist eine Datenlücke, die aufgrund des Geschlechts entsteht und das Vorurteil stützt, dass Frauen nicht anders zu behandeln seien wie Männer. Was steckt hinter dem Gender Data Gap und wie wirkt er sich auf Frauen aus?
Was steckt konkret hinter der Gender Data Gap?
Meistens sind vom Gender Data Gap Frauen betroffen, da vornehmlich das männliche Geschlecht bei der Erhebung medizinischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Daten berücksichtigt wird. Ob es sich um das biologische (sex) oder soziale Geschlecht (gender) handelt, spielt dabei keine Rolle. Diese Datenlücken entstehen immer dort, wo etwas nicht gesehen oder übersehen wurde, zum Beispiel aufgrund fehlender Testreihen. Das merken wir oft daran, dass in der Forschung bestimmte Sachverhalte erst viel später überprüft werden. Zuletzt bei der Wirkung der Corona-Impfung und ihrem möglichen Einfluss auf den weiblichen Zyklus[1].
Wir finden diese Datenlücken in allen Bereichen des täglichen Lebens – bei der Konzeption von Regalhöhen im Einzelhandel, bei der Einstellung von Klimaanlagen in Büros, bei der Konzeption von Autogurten und ABS-Systemen, ja selbst bei der Anordnung von öffentlichen Toiletten. All diese Dinge und noch viel mehr beruhen auf der Grundlage von männlichen Normierungen. Das heißt, während der Forschung wird der Durchschnitt aus den überwiegend männlichen Probanden[2] gezogen und dementsprechend das Produkt daran angepasst. Ein Beispiel wären Crash Test Dummys, die nun vermehrt in der Kritik stehen. Hier wurde bisher der Durchschnitt eines Mannes in Größe und Gewicht genommen, sowie der Durchschnitt einer Frau und daraus ein Dummy entwickelt, der noch immer ganz anders proportioniert ist als eine Frau. Die weibliche Anatomie wird dabei gar nicht berücksichtigt. Frauen unterscheiden sich allein schon aufgrund von Größe und Gewicht gravierend vom durchschnittlichen Mann. Frauen sind also keine kleinen Männer! Die Folgen daraus, so entlarvt es sich allmählich, können nicht nur ungünstig, sondern gar lebensbedrohlich sein.
Wie äußert sich der Gender Data Gap bei der Gesundheit von Frauen?
Frauen sind in der Medizin noch immer benachteiligt. Zwar ist mittlerweile vielen bekannt, dass Frauen bei einem Herzinfarkt andere Symptome[3] haben als Männer und deshalb dieser meistens nicht oder viel zu spät erkannt wird. Jahrzehntelang wurden Frauen etwa ohne Diagnose mit ihren starken Regelschmerzen und Blutungen wieder nach Hause geschickt, sogar wenn diese in Ohnmacht fielen. Zwischenzeitig hat auch dieses Phänomen einen Namen – „Endometriose“. Eine nicht zu unterschätzende Krankheit, zu der es noch viel zu wenig Daten gibt und die sich nur langsam unter der Ärzt*innenschaft rumspricht.[4] Auch besteht noch immer ein erhebliches Risiko für Frauen aufgrund der Medikamentenvergabe und deren Dosierung. Zwar ist es in Deutschland seit 2004 verpflichtend, dass klinische Studien mögliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern untersuchen. Allerdings gilt dies nicht für Arzneimittel, deren Studien im Ausland oder über mehrere Länder verteilt durchgeführt wurden. Auch bei älteren Medikamenten gibt es hier eine Lücke, da vor 2004 geschlechtsspezifische Untersuchungen nicht eingefordert wurden. Diese fehlenden Daten führen dazu, dass Frauen aufgrund ihrer körperlichen und hormonellen Verfassung viel häufiger von Nebenwirkungen, Wechselwirkungen oder gar zu wenig Wirkung betroffen sind als Männer.
Diese Liste lässt sich unendlich weiter füllen mit Fakten, bei denen „Frau“ nur noch entsetzt sein kann. In der Forschung muss sich grundlegend etwas ändern und Frauen müssen besondere Berücksichtigung finden! Zu dieser Erkenntnis muss endlich die Medizin und Pharmazie kommen.
Wie kann die Lücke geschlossen werden?
Je mehr man sich mit diesem Thema beschäftigt, desto mehr erkennt man, wie weit wir noch von einer ausreichenden und für beide Geschlechter gerechten Datenlage entfernt sind. Dies soll nicht unterstellen, dass Männer dies absichtlich machen. Es soll vielmehr ein Hinweis auf den Umstand sein, dass Frauen in der Forschung schlichtweg nicht mitgedacht wurden und ihre Bedürfnisse wie auch Lebensrealitäten sich von denen der Männer unterscheiden. Es ist nun wichtig, dass die bestehenden Lücken mit Daten gefüllt werden. Es braucht also dringend neue wie auch weiterentwickelte Forschungsreihen in sämtlichen Disziplinen.
Wie kann ein einzelnes Bundesland dazu beitragen, die Lücke zu schließen? Wie sieht es in Hessen aus?
Auch in Hessen wird dieses Thema jetzt ernst genommen. In einem Berichtsantrag vom 20. April 2021[5] ersucht die hessische SPD die Landesregierung auf die geschlechtsbezogene Datenlücke in hessischen Forschungseinrichtungen umfassend zu überprüfen. Dazu schreibt sie: „Der weibliche Körper gilt als zu komplex und zu teuer für die Forschung. Das hat nicht nur Nachteile für Frauen zur Folge, sondern birgt für sie auch erhebliche Gefahren etwa bei den Themen Erkennung von Herzinfarkten, Größe von FFP2-Masken für Pflegerinnen oder auch der Sicherheit in Auto-Cockpits“. Ebenfalls wird in einem aktuellen Antrag vom 25. Februar[6] explizit auf die Gender Data Gap in der Medizin eingegangen und die Landesregierung aufgefordert, umgehend aktiv zu werden. Zum Beispiel soll an hessischen Hochschulen die Gendermedizin als Teil des Medizinstudiums sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe umgesetzt werden. Im Rahmen des Weltfrauentags lädt die hessische Landesregierung sogar zu einem digitalen Frauentalk ein, welcher sich dieses Jahr explizit mit dem Thema „Gendermedizin – Was wir nicht über Frauen wissen“ beschäftigt.
Was muss geschehen?
Die Gender Data Gap zeigt uns ganz klar, welche Lücken wir in Zukunft mit umfangreichen Daten füllen und korrigieren müssen. Bund und Länder sind nun gefordert, Forschungsvorhaben und Projekte zu fördern und vor allem im Bereich der Gesundheitsversorgung bessere Ergebnisse, die lebensrettend sein können, zu erzielen.
Dies ist ein langer Prozess und kann nicht über Nacht „gelöst“ werden. Bis dahin müssen Frauen und Mädchen umfassend aufgeklärt und gestärkt werden.
März 2022