Die Diakonie gibt eine Handreichung zum Thema Scham im Ehrenamt und Freiwilligen Engagement heraus
Das Gesicht und die Ohren werden rot, es entstehen Flecken an Hals und Dekolleté, die Betroffenen schauen nach unten, fangen nervös an ihre Finger zu kneten und würden am liebsten den Raum verlassen: Scham ist ein Gefühl, das viele kennen und das viele nur allzu gerne verbergen möchten. Die Diakonie Hessen gibt nun zusammen mit der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und dem Diakonischen Werk Pfalz einen Ratgeber heraus, wie Ehrenamtliche und Freiwillige sowie die Koordinator*innen ihres Einsatzes mit diesem Gefühl in der Arbeit umgehen können. Wir haben mit Ursula Stegemann, eine der drei Autorinnen und Referentin für Freiwilliges Engagement bei der Diakonie Hessen, gesprochen. Wir wollten herausfinden, warum gerade Ehrenamtskoordinator*innen und Freiwilligenmanager*innen, aber auch die Freiwilligen und Ehrenamtlichen, sich mit diesem Tabuthema befassen sollten.
1. Frau Stegemann, was hat Sie und Ihre Co-Autorinnen zu diesem Ratgeber veranlasst?
In unserer Arbeit sind wir immer wieder mit Scham-Situationen konfrontiert. Angeregt durch das Buch „Die Würde des Menschen ist verletzlich“ laden wir daher seit drei Jahren den Autor Dr. Stephan Marks in unsere Landesverbände ein, organisieren Vorträge und Fortbildungen. Dabei wurde uns deutlich, dass Scham in allen Bereichen unseres Lebens eine Rolle spielt, auch im freiwilligen Engagement. Beschämen Menschen andere, kann dahinter ein eigenes verdecktes Schamgefühl stecken, das es zu erkennen und zu bewältigen gilt. Wir beschreiten mit diesem Thema einen neuen Weg und betrachten das freiwillige Engagement aus einem Blickwinkel, der bisher im klassischen Freiwilligenmanagement keinen Platz fand.
2. Was ist Scham und warum ist es oft ein Tabu?
Scham gehört zum Menschsein dazu. Eine gesunde Scham schützt den Menschen und bewahrt seine Würde. Jeder Mensch hat eine andere Schamgrenze und ein eigenes Schamempfinden; die Scham wird individuell und auch kulturell bedingt anders erlebt. Wenn das Gefühl z. B. durch Beschämung überbordend wird, ist es ein extrem schmerzhaftes Gefühl und wertet den Menschen ab. Da dieses Empfinden so quälend und verletzend ist, versuchen viele Menschen, dieses Gefühl durch andere Verhaltensweisen zu ersetzen, zum Beispiel in dem sie andere beschämen. Bei Scham und Beschämung geht es immer auch um die Themen Schutz und Schutzlosigkeit, Selbstwertstärkung und Selbstwertverlust oder um Macht und Ohnmacht in Beziehungen. Da diese Gefühle so tiefgreifend sind und uns im inneren Kern anrühren, reden wir nicht gerne darüber.
3. Inwiefern prägt Scham die Arbeit und Zusammenarbeit von freiwilligen und hauptamtlichen Mitarbeitenden?
In der Arbeit mit freiwillig Engagierten geht es auch um Beziehungen und menschliches Miteinander. Sowohl in der Zusammenarbeit von Hauptberuflichen und Freiwilligen, als auch zwischen den Engagierten und im Miteinander mit den Nutzer*innen der Engagementangebote kann es zu schambehaftete Situationen kommen. Das Gefühl der Scham ist ein Tabu und wird nicht direkt angesprochen, doch gibt es Verhaltensweisen und Äußerungen hinter denen sich das Gefühl versteckt. Scham hat eine machtvolle Wirkung und kann Beziehungen in der Freiwilligenarbeit stark belasten. Es kann sein, dass sich Freiwillige zurückziehen, oder dass es zu schamauslösenden Situationen kommt, die die Verantwortlichen nicht erkennen. Mit dieser Handreichung wollen wir auf das Thema aufmerksam machen und Anregung geben, sich auch in der Zusammenarbeit von freiwilligen und hauptamtlichen Mitarbeitenden mit den Ursachen und Auswirkungen dieses Gefühls zu beschäftigen.
4. Wie können die Freiwilligenmanager*innen und Ehrenamtskoordinator*innen die Freiwilligen und Ehrenamtlichen im Umgang mit dem erlebten Schamgefühl konkret unterstützen?
In der Broschüre werden die vielen Aspekte der Scham beleuchtet und aufgezeigt, wie sie in helfenden Beziehungen auftreten kann. Wir wollen zu einem bewussten Umgang mit Scham anregen. Wir beschreiben die vier Formen der Scham: die Missachtungsscham, die Intimitätsscham, die Peinlichkeitsscham und die Gewissensscham. Durch diese Arten von Scham werden Grundbedürfnisse des Menschen verletzt. Für den Umgang mit Scham empfehlen wir sogenannte „Räume der Würde" zu schaffen, die sich aus Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit und Integrität bilden und die Grundbedürfnisse der Menschen schützen. Wir zeigen in unserem Ratgeber, wie diese „Räume der Würde“ im Engagement hergestellt und für ein gutes Miteinander genutzt werden können. Darüber hinaus gibt es ein ganzes Kapitel zum Thema „wertschätzender Umgang“.
5. Wie können wir uns die „Räume der Würde“ vorstellen? Was bedeutet das für die praktische Arbeit?
Wir sollten im täglichen Miteinander unseren Mitmenschen eine wertschätzende Haltung entgegenbringen und ihnen Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit und Integrität – also die vier Räume der Würde – bieten. So kann etwa Scham entstehen, wenn man den Erwartungen und Normen der Mitmenschen nicht gerecht wird und daraufhin ausgelacht oder ausgegrenzt wird. Das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit wird verletzt. Wenn wir den Mitmenschen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln, so werden sie in ihrer Würde unterstützt und es wirkt sich positiv auf ihr Selbstwertgefühl aus. Wenn wir in der Zusammenarbeit mit freiwillig Engagierten das Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln wollen, bedeutet das, dass wir den Menschen offen und mit wertschätzender Haltung entgegentreten und die Engagierten in die verschiedenen Prozesse einbinden und sie beteiligen. Wir schaffen auf diese Weise „Räume“, in denen Menschen ihre Zugehörigkeit und Würde spüren können und wir geben ihnen die Möglichkeit für Mitbestimmung und Mitverantwortung.