Schwangerschaften entstehen nicht immer geplant. Manchmal kommt die Schwangerschaft zu einem ungünstigen Zeitpunkt im Leben und die betroffenen Frauen befinden sich gerade in einer schwierigen Lebenssituation. Dann kann es sein, dass sich werdende Mütter kein gemeinsames Leben mit ihrem Kind vorstellen können.
Keine Frau muss in Deutschland ihr Kind allein und heimlich zur Welt bringen. Mit dem Gesetz zur vertraulichen Geburt, das am 1. Mai 2014 in Kraft getreten ist, soll werdenden Müttern niedrigschwellig Hilfe angeboten werden. Sie können durch die Schwangerschaftsberatungsstellen während der Schwangerschaft begleitet werden und auf Wunsch vertraulich, sicher medizinisch betreut in einer Klinik oder bei einer Hebamme entbinden.
Doch was ist eine vertrauliche Geburt genau? Wir haben mit Schwangerenberaterin Ruth Fendler-Vieregg von der Regionalen Diakonie Westerwald gesprochen. Sie berät zu vertraulichen Geburten und gibt bundesweit Schulungen. Wir wollten erfahren, wie eine vertrauliche Geburt abläuft und was sie für Mutter und Kind bedeutet.
Frau Fendler-Vieregg, Sie arbeiten seit 20 Jahren in der Schwangerenberatung. Was ist eine vertrauliche Geburt?
Im gesamten Verfahren der vertraulichen Geburt erhält die Frau einen umfassenden Vertraulichkeitsschutz. Sie offenbart sich nur einmal gegenüber dem/der zur Verschwiegenheit verpflichteten Berater*in. Ihr Klarname und ihre Daten werden in einem Herkunftsnachweis dokumentiert und die Frau wählt ein Pseudonym. Unter diesem Pseudonym werden die weiteren Schritte gegangen. Der Herkunftsnachweis wird in einem Umschlag verschlossen, auf dem das Pseudonym der Frau vermerkt ist.
Alles, was die werdende Mutter ihrem Kind an Informationen mitgeben möchte, kann sie an die Berater*in der Schwangerschaftsberatungsstelle geben. Diese Informationen gehen dann – mit Einverständnis der Frau – entweder an die Adoptionsvermittlungsstelle oder später an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Die Frau wählt eine Geburtsklinik oder Hebamme aus, in der sie medizinisch betreut ihr Kind unter dem Pseudonym vertraulich gebären kann. Nach der Geburt werden auf dem Umschlag, in dem sich der Herkunftsnachweis befindet, der Geburtsort, das Geburtsdatum des Kindes, die Daten und Anschrift der geburtshilflichen Einrichtung sowie die Anschrift der Beratungsstelle vermerkt. Anhand des Herkunftsnachweises kann das Kind zu einem späteren Zeitpunkt – ab dem 16. Lebensjahr – Kenntnis über seine Mutter erhalten. Dieser Umschlag wird per Einschreiben an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben gesendet und dort verwahrt.
Im Verfahren der vertraulichen Geburt legt die Mutter selbst den Vornamen des Kindes fest, der in der Regel auch nach der Adoption zumindest als Zweitname beibehalten wird. Dies kann für die Mutter sehr bedeutsam sein, weil sie damit ihrem Kind etwas für das Leben mitgibt. Das Standesamt gibt dem Kind einen Nachnamen, der dann nach der Adoption in den Nachnamen der Adoptiveltern geändert wird.
Was bedeutet eine vertrauliche Geburt für die adoptierenden Eltern?
Die elterliche Sorge der Mutter ruht mit der Geburt des vertraulich geborenen Kindes. Für das Adoptionsverfahren gilt der Aufenthalt der Mutter als dauerhaft unbekannt. Dies hat zur Folge, dass ihre Einwilligung in die Adoption nicht erforderlich ist. Bis zum Ausspruch der Adoption hat die Mutter die Möglichkeit ihre Anonymität aufzugeben. Dies hat zur Folge, dass sie das Sorgerecht erhalten kann und in eine Adoption einwilligen muss.
Die Adoptionsvermittlungsstelle möchte in der Regel möglichst viele Informationen über die Mutter im Allgemeinen und etwa über ihre Gesundheit wie Erbkrankheiten erfahren und diese den neuen Eltern mitgeben. Vorausgesetzt die Frau stimmt zu, versucht die Adoptionsvermittlungsstelle auch bei einer vertraulichen Geburt ähnlich viel Herkunftswissen zu erhalten. Jedoch wird die Anonymität der Frau gewahrt.
Die Adoptionsverfahren eines vertraulich geborenen Kindes sind potenziell unsicherer, da es die Möglichkeit gibt, dass die Kindesmutter ihre Anonymität aufgibt – mit der Option, dass sie die Zustimmung zur Adoption verweigert. Eine Rücknahme des Kindes wird sich am Kindeswohl orientieren und durch das Familiengericht entschieden. Das Familiengericht entscheidet immer zum Wohl des Kindes, das kann auch eine Entscheidung für die Adoptionseltern und gegen die Mutter sein. Nach der sogenannten Adoptionspflege (in der Regel nach einem Jahr) spricht das Familiengericht den Adoptionsbeschluss aus und das Kind erhält die rechtliche Stellung eines leiblichen Kindes der Adoptiveltern.
Was ist mit dem leiblichen Vater des Kindes?
Benennt die Schwangere den Namen des Vaters nicht und ist der Vater des Kindes somit unbekannt, sind eine Anerkennung der Vaterschaft und eine gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nicht möglich. Erfährt der mögliche Kindesvater von der Schwangerschaft oder der Geburt, kann er die Vaterschaft anerkennen und kann seine Rechte als Vater wahrnehmen. Einer Adoptionsfreigabe müsste er dann ebenfalls zustimmen.
Die Väterrechte werden durch die vertrauliche Geburt nicht berührt. Darüber wird die Schwangere in der Beratung zur vertraulichen Geburt informiert.
Das Angebot der vertraulichen Geburt gibt es nun seit 10 Jahren. Welche Vor- oder Nachteile habe sich seitdem gezeigt?
Ich halte das Angebot der anonymen Beratung und der vertraulichen Geburt für sinnvolle und hilfreiche Alternativen. So können Frauen in Notlagen niedrigschwellig erreicht und ihnen entsprechende Hilfsangebote gemacht werden. Für die Kinder, die vertraulich geboren werden, bleibt ihr Recht auf das Wissen um ihre Herkunft gewährleistet, was für die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen unabdingbar ist.
Gleichzeitig bleibt die Frage, ob wir die Frauen tatsächlich ansprechen, die bisher anonyme Angebote gewählt haben, und diese über das Beratungssystem erreichen.
In fünf Jahren haben die ersten Kinder der vertraulichen Geburt die Möglichkeit zu erfahren, wer ihre Mütter sind. Was ist dann zu erwarten?
Das wird tatsächlich spannend. Adoptionseltern werden von den Adoptionsvermittlungsstellen darin geschult, mit ihren Kindern über deren Herkunft offen und ehrlich zu sprechen. Vielleicht möchten diese Kinder dann auf die Suche nach ihren Wurzeln gehen. Dies soll durch die Adoptionsvermittlungsstellen begleitet werden. Ich gehe davon aus, dass dies gut gelingt.
Wenn eine Mutter verhindern möchte, dass das vertraulich geborene Kind seinen Herkunftsnachweis einsieht, kann sie Belange geltend machen, die diesem Einsichtsrecht entgegenstehen.
Das Familiengericht wird dann entscheiden, ob diese Belange höher einzuschätzen sind als das Recht des Kindes um seine Herkunft.
Auch hier zeigen die Schwangerschaftsberatungsstellen der Mutter Hilfsangebote auf und erörtern mit ihnen deren Bedenken und Ängste.
Widerspricht die Mutter nicht diesem Einsichtsrecht, so kann das Kind ab Vollendung des 16. Lebensjahres die Daten beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben einsehen.
Die Einsichtnahme des Kindes bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass eine Kontaktaufnahme durch das Kind erfolgen wird. Auch das hat die Mutter dann zu akzeptieren.
Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was wäre das?
Mit dem Angebot der vertraulichen Geburt wurde das Hilfesystem enorm gestärkt. Es ist nun gesetzlich geregelt, dass Schwangere sich anonym beraten lassen können. Das Hilfsangebot für schwangere Frauen wurde ausgebaut. Niemand muss in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft allein bleiben und alle Entscheidungen mit sich selbst ausmachen. Das große Hilfepaket, das es rund um Schwangerschaft und Geburt gibt, ist mehr in den Fokus gerückt und wird positiv beleuchtet.
Schwangerenberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung und überhaupt die Inanspruchnahme von Beratung sollte positiv in der Gesellschaft gesehen werden: Als ein professionelles Angebot, das etwas Gutes bewirkt. Niemand sollte sich scheuen, Beratungen zu nutzen.
Leider ist Beratung in der Gesellschaft immer noch eher negativ besetzt, d.h. es herrscht die Idee, jemand hat Beratung nötig.
In die Pflichtberatung also Schwangerschaftskonfliktberatung etwa kommt man, weil man muss. Ich wünschte, es wäre nicht nötig, dies verpflichtend zu gestalten.
Auch Adoptionsfreigaben sollten aus der Nische rücken und anders in der Gesellschaft angesehen werden. Während die annehmenden Eltern eher positiv dastehen, begegnet man Frauen, die sich dazu entschließen ihr Kind abzugeben, häufig mit Unverständnis. Dabei handeln Frauen, die ihr Kind zur Adoption freigeben, äußerst verantwortungsvoll. Sie verdienen den Respekt der Gesellschaft.
Das Gespräch führte Yvonne Burger von der Diakonie Hessen.