© Hermann Bredehorst / Diakonie
Tag der Wohnungslosen

Medizinische Versorgung für wohnungslose Menschen erschwert

Wer auf der Straße lebt, hat nicht nur seine Wohnung verloren, sondern auch den Anschluss an eine grundlegende Gesundheitsversorgung. Seit fast 30 Jahren gibt es in vielen Einrichtungen für wohnungslose Menschen medizinische Sprechstunden.

10.09.2025

Medizinische Sprechstunden in Einrichtungen sind Notversorgung

Wer auf der Straße lebt, hat nicht nur seine Wohnung verloren, sondern auch den Anschluss an eine grundlegende Gesundheitsversorgung. Rund 4.000 Menschen leben in Hessen ohne festen Wohnsitz – viele von ihnen sind chronisch krank, psychisch belastet und medizinisch unterversorgt. „Mittlerweile bieten wir in fast allen unseren diakonischen Wohnungsnotfall-Einrichtungen auch regelmäßig medizinische Sprechstunden an“, sagt Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen zum Tag der Wohnungslosen am 11. September. „Doch unser medizinisches Angebot ist nur eine Notfallversorgung“, betont Carsten Tag. „Es ist keine Parallelstruktur zum öffentlichen Gesundheitssystem. Die Leistungen, die wohnungslose Menschen in unseren diakonischen Einrichtungen bekommen, können eine regelhafte Gesundheitsversorgung nicht ersetzen.“ Seit fast 30 Jahren gibt es schon das Projekt „Krank auf der Straße“ der Diakonie Hessen, aus dessen Spendeneinnahmen unter anderem die medizinischen Sprechstunden in den Einrichtungen finanziert werden. Und der Bedarf an der Notfallversorgung wächst.

„Wer jeden Tag sein Überleben sichern muss, obendrein suchtkrank und auch häufig psychisch krank ist, keinen gesicherten Zugang zu Wasser, Toiletten, Nahrung, Kalender hat, der greift nicht zum Hörer, telefoniert die Arztpraxen durch und macht einen Termin aus“, erzählt Katharina Alborea, Referentin für Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Hessen. Eine akute Erkrankung wird dann oft verdrängt. Viele wissen nicht einmal, ob sie eine Krankenversicherung haben und welche Leistungen ihnen eigentlich zustehen. Auch haben die meisten Angst in einer regulären Arztpraxis oder Notaufnahme wegen ihres Erscheinungsbilds stigmatisiert zu werden. Alborea: „Viele wohnungslose Menschen haben schlechte Erfahrungen gemacht und gehen erst dann zum Arzt, wenn die Krankheit schon fortgeschritten ist. Für manche ist das zu spät.“ Katharina Alborea erzählt aus Erfahrung. Sie war selbst jahrelang Sozialarbeiterin in einer Einrichtung und hat wohnungslose Menschen zum Arzt begleitet. „Unsere Angebote sind meist die einzige Möglichkeit, wohnungslose Menschen in besonderen Notlagen medizinisch zu versorgen und sie wieder an das Hilfesystem der Gesundheitsfürsorge heranzuführen.“

Gesundheitssystem überlastet

„Auch wenn die Kommunen gesetzlich verpflichtet sind, für die gesundheitliche Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger aufzukommen, ist das System so überlastet, dass es noch nicht einmal für die Menschen ausreicht, die einen Wohnsitz haben“, sagt Carsten Tag. Mit den Einnahmen aus dem Spendenprojekt „Krank auf der Straße“ werden etwa die Materialien für die medizinische Versorgung der wohnungslosen Menschen bezahlt. Allein die Kosten für Sehhilfen für Menschen mit stark beeinträchtigter Sehkraft übersteigen meist die Möglichkeiten von Wohnungslosen. Carsten Tag: „Brillen sind ein wesentlicher Beitrag für eine bessere Teilhabe. Früher gab es noch sogenannte kostenlose „Kassengestelle“. Wie soll jemand die Kosten für eine Brille bezahlen, dem es am Nötigsten zum Leben fehlt? Unserem öffentlichen Gesundheitssystem mangelt es an Menschlichkeit. Wir brauchen einen Fonds für medizinische Behandlungen, der die Kostenübernahme garantiert, und Arztpraxen, die wohnungslose Menschen vorbehaltlos behandeln.“

Gesundheitssystem ohne Barrieren und Diskriminierung nötig

„Wohnungslose Menschen werden in der aktuellen Gesundheitsstruktur nicht barriere- und diskriminierungsfrei versorgt“, sagt Carsten Tag weiter. „Wir erleben es immer wieder, dass Menschen nach medizinischen Eingriffen ohne Anschlussversorgung einfach vor unseren Einrichtungen abgesetzt werden. Das reguläre Entlassungsmanagement greift bei wohnungslosen Menschen nicht, doch unsere Einrichtungen sind nicht auf pflegebedürftige Menschen eingestellt. Unsere Sozialarbeiter*innen sind kein Pflegepersonal! Für die Menschen, die auf der Straße leben, müssen medizinische Leistungen diskriminierungs- und barrierefrei zugänglich sein. Wir haben in einem Positionspapier gezeigt, wie eine Versorgung mit Würde funktionieren kann. Lassen Sie uns nun endlich ein Gesundheitssystem schaffen, das für alle Menschen da ist!“

Die Diakonie Hessen hat zusammen mit den anderen großen Wohlfahrtsverbänden der Liga Hessen ein Positionspapier zur Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen verfasst. Zum ausführlichen Positionspapier der Liga Hessen  

Fachtag „Unsichtbare Patient*innen?“ am 18. September in Frankfurt am Main

Der Fachtag „Unsichtbare Patient*innen? Herausforderungen und Chancen in der Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen“ der Hessischen Fachkonferenz Wohnungslosenhilfe diskutiert am 18. September in Frankfurt, wie die Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen gestaltet werden kann. Der Fachtag findet von 10 bis 16:30 Uhr in der Evangelischen Akademie Frankfurt statt und wird von Staatsministerin Heike Hofmann eröffnet. Es sollen gemeinsam Perspektiven entwickelt und auf Grundlage bewährter Praxisbeispiele konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Das Hessische Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales begleitet den Fachtag als wichtiger Partner und fördert den Dialog zwischen Fachkräften, Sozialverbänden und öffentlichen Institutionen. Mehr Infos zur Veranstaltung

Über das Spendenprojekt „Krank auf der Straße“ der Diakonie Hessen

Seit 1996 wird über das Gesundheitsprojekt „Krank auf der Straße“ die medizinische Versorgung von wohnungslosen Menschen finanziert. In vielen Einrichtungen der Diakonie Hessen – etwa in den diakonischen Tagesaufenthaltsstätten (TAS) Marburg, Wiesbaden und Gießen – finden regelmäßig medizinische Sprechstunden statt, oft in Kooperation mit Zahnarztpraxen und psychiatrischen Diensten. Allein in der TAS Marburg wurden im Jahr 2024 rund 100 Patient*innen versorgt. Ein zentraler Bestandteil des Projekts ist die Anschubfinanzierung für medizinische Grundausstattung – darunter Verbandsmaterial, Medikamente oder die Einrichtung von Krankenzimmern. Auch Honorare und Aufwandsentschädigungen für freiwillig engagierte medizinische Fachkräfte, wie pensionierte Ärzt*innen oder Pflegekräfte, werden durch das Spendenprojekt übernommen.

2024 wurden etwa 4.000 Euro für Brillen aufgewendet, in diesem Jahr sind es bisher 1.800 Euro. Sonstige Ausgaben sind: Zuzahlungen Medikamente, Krankentransporte, Krankenhausaufenthalte, Zahnreinigungen, Wurzelbehandlungen, IGEL-Leistungen, die Klient*innen oft aus Unwissenheit abschließen, aber nicht bezahlen können. Mehr Informationen und Möglichkeit zu spenden

Kontakt

Katharina Alborea

Referentin für Wohnungsnotfallhilfe

069 79476282 01511 8518750

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