© Diakonie / Francesco Ciccolella

Gegen Gewalt an Frauen

Seit Jahren steigen die Fallzahlen kontinuierlich. Dies liegt auch an einem geänderten Verhalten der betroffenen Frauen, die mehr Fälle von häuslicher Gewalt zur Anzeige bringen. Beratungsstellen der Diakonie Hessen helfen weiter.

Immer mehr Fälle zur Anzeige gebracht

Von häuslicher Gewalt betroffen sind vor allem Frauen und dies über alle Altersklassen, Herkunft und Schichten verteilt. Die europäische Grundrechteagentur stellte in einer Studie mit insgesamt 42.000 Frauen zwischen 18 und 74 Jahren fest, dass jede dritte Frau in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrung mit physischer und/oder sexualisierter Gewalt gemacht hat. Besonders in Partnerschaften sind die Opfer mit rund 81 Prozent überwiegend weiblich. 

Seit Jahren steigen die Fallzahlen kontinuierlich. Es ist davon auszugehen, dass dies auch an einem geänderten Verhalten der Frauen liegt, die mehr Fälle von häuslicher Gewalt anzeigen. Auch während der Corona-Pandemie konnte noch einmal ein erneuter Anstieg der Fallzahlen festgestellt werden.

So ist laut Kriminalstatistik etwa die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt allein in Rheinland-Pfalz in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent gestiegen und lag im Jahr 2023 bei 13.810 Fällen. Ähnlich sieht es in Hessen aus. Hier wurden im gleichen Jahr 12.000 Fälle häuslicher Gewalt erfasst, was einen Anstieg um 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt.

Was geschehen muss

Trotz Istanbul-Konvention und Fortschritten besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf. Die formulierten Ziele der Istanbul-Konvention müssen umgesetzt werden. Dies sind vor allem verbindliche Maßnahmen, um den Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt sicherzustellen.

In Hessen werden mittlerweile Beratungs- und Schutzangebote für gewaltbetroffene Frauen schrittweise ausgeweitet und der Ausbau von Online-Beratungen erleichtert den Zugang zu einer Erstberatung. Auch Frauenhäuser und Schutzwohnungen haben ihre Kapazitäten aufgestockt, doch der Bedarf ist noch längst nicht gedeckt. In Deutschland fehlen etwa 14.000 Plätze in Frauenhäusern, auch reichen Beratungsangebote nicht aus. Es besteht ein akuter Mangel an speziell geschultem Personal und viele Frauen finden nur schwer geeignete Unterkünfte für ihre persönliche Situation. Es braucht langfristige Investitionen in den Ausbau von Schutz- und Beratungsangeboten in Hessen. 

Prävention und Schulungen von Fachkräften nötig

Es ist wichtig, umfassendere Präventionsarbeit zu leisten, insbesondere in Schulen und im digitalen Raum. Für Polizei und Justiz gibt es bereits einige Schulungen im Umgang mit Gewaltbetroffenen, aber flächendeckende und verpflichtende Schulungen wären effektiver. Zudem benötigen wir eine bessere Vernetzung zwischen Polizei, Justiz und Sozialdiensten, um Gewaltopfer effektiv zu unterstützen. Eine verstärkte Sensibilisierung und Schulung von Fachkräften sind unerlässlich.

Es tut sich was, wenn auch nur tröpfchenweise

Interview mit Frauenhaus-Leiterin Birte Prawdzik

Eigentlich ist alles klar: Mit der Istanbul Konvention gibt es ein völkerrechtlich bindendes Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Sie wurde am 11. Mai 2011 in Istanbul verabschiedet und ist seit dem 1. August 2014 in Kraft. Sie enthält umfassende Verpflichtungen zur flächendeckenden Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. In Deutschland gilt die Konvention seit Februar 2018. Somit sind die formulierten Ziele und Absichten geltendes Recht. Doch wie sieht es im Alltag aus? Was hat sich für Frauen und Mädchen tatsächlich geändert? Wir haben mit Birte Prawdzik gesprochen, der Leiterin des Frauenhauses der Regionalen Diakonie Wiesbaden, dem einzigen Frauenhaus unter dem Dach der Diakonie Hessen. 

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland und speziell in Hessen ein? 

Es tut sich etwas in diesem Bereich, wenn auch oft nur tröpfchenweise. Manchmal ist es auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. In Hessen steigen die Zahlen häuslicher Gewalt weiter an: im Jahr 2023 wurden 12.000 Fälle häuslicher Gewalt erfasst, was einen Anstieg um 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt. 

Wichtig ist aber, dass es die Istanbul Konvention gibt. Dadurch setzen sich insgesamt mehr Menschen mit dem Thema auseinander, also auch in der Politik. So gibt es auf dieser Ebene den Versuch der Regierung das sogenannte Gewalthilfegesetz auf den Weg zu bringen, das Betroffenen von häuslicher Gewalt einen Rechtsanspruch auf Hilfe und Schutz garantiert. 

Was hat sich seit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention tatsächlich für Frauen und Mädchen in Hessen verbessert? 

Es werden mehr Gelder für verschiedene Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Dadurch können Frauenhäuser anders gestaltet werden. Früher teilten sich die Frauen Zimmer mit ihren Kindern, es gab Gemeinschaftsbäder und -küchen. Mittlerweile gibt es die Tendenz zu Appartementlösungen, wie wir sie auch in unserem Frauenhaus haben. Die Frauen wohnen selbstständig mit eigener Küchenzeile und Bad und die Kinder bekommen ebenfalls eigene Zimmer. Das erhöht die Lebensqualität immens und ermöglicht grundsätzlich die Aufnahme von Frauen mit älteren Söhnen. [Anm.d.Red.: In vielen Frauenhäusern dürfen Söhne gewaltbetroffener Frauen ab einem bestimmten Alter nicht mehr untergebracht werden.] Eine solche Appartementlösung sollte der Mindeststandard sein, ist aber noch die Ausnahme. 

Gibt es Ihrer Meinung nach auch Aspekte, die sich verschlechtert haben? Wo sehen sie den dringendsten Handlungsbedarf? 

Die allgemeine Wohnungsversorgung verschärft die Situation. Es gibt kaum mehr bezahlbaren Wohnraum und die Frauen finden keine geeignete Wohnung, um auf eigenen Beinen zu stehen. Dadurch bleiben sie länger als gewollt im Frauenhaus und dann fehlen bei uns die Plätze, um neue Frauen aufzunehmen.  

Auch im Sorge- und Umgangsrecht sehen wir Handlungsbedarf, denn oft wird den Vätern zu früh Kontakt zugestanden. Der Kontakt zu den gewalttätigen Vätern stellt sowohl für die Kinder als auch für die Frauen eine Gefährdung dar. 

Wir blicken immer wieder nach Rheinland-Pfalz. Dort gibt es eine gut funktionierende Zusammenarbeit mit den Behörden, mit der Polizei und Justiz. Da ist es auch mal möglich, kreative Lösungen für die Täter zu finden und ihnen beispielsweise ein Fahrverbot aufzuerlegen, wenn häusliche Gewalt stattgefunden hat. Da denken wir uns, so wie in Rheinland-Pfalz müsste es doch überall möglich sein. 

Das Interview führte Sophia Schreiber, Referentin für Gewaltprävention bei der Diakonie Hessen. 

Frauenhaus „Haus für Frauen in Not“

Hessen bieten 32 Frauenhäuser Frauen Schutz. Sie finden hier ein kurzfristiges Zuhause und spezielle Angebote, um die oftmals traumatisch erlebten Gewaltsituationen zu verarbeiten. Das Frauenhaus „Haus für Frauen in Not“ des Diakonischen Werks Wiesbaden ist das einzige unter dem Dach der Diakonie Hessen. Insgesamt bietet das Haus zehn volljährigen Frauen mit Kindern ein Zimmer, eine Gemeinschaftsküche und ein gemeinsames Wohnzimmer. Hier können sich die Frauen und ihre Kinder selbst versorgen und somit ein Stück Autonomie bewahren.

Jedes Jahr finden rund 50 Frauen ein kurzfristiges Zuhause in dem Frauenhaus. Spezielle Angebote unterstützen die Kinder, die oftmals traumatisch erlebten Gewaltsituationen zu verarbeiten. Vier Sozialpädagoginnen stehen den Bewohnerinnen und ihren Kindern bei der Aufarbeitung und weiteren Lebensplanung zur Seite. Grundsätzlich können die Frauen auch im Anschluss an die Zeit im Frauenhaus auf Wunsch weiter betreut werden.

Die Frauen bleiben mit ihren Kindern in der Regel solange, bis sie sich stabilisiert haben und in eine eigene Wohnung ziehen können. Angedacht sind maximal sechs Monate. Der zeitliche Rahmen ist sehr individuell und kann von einem Tag bis zu zwei Jahren dauern. Die Adresse des Hauses ist zum Schutz der Frauen anonym.

Beratung für Frauen in Not

Sie haben Gewalt erfahren und suchen eine Beratungsstelle in ihrer Nähe?

Wenden Sie sich an eine Beratungsstelle der Diakonie Hessen: Zur Einrichtungssuche

Hier gibt es eine Übersicht über die Frauenhäuser in Hessen 

Über das Hilfetelefon unter 08000 116 016 werden Frauen bei jeglicher Form von Gewalt in 18 Sprachen beraten. Bei sexualisierter Gewalt/Missbrauch kann man sich an das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“ wenden unter 0800 22 55 530.

Hintergrund: Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen entstand bereits 1981, als feministische Aktivistinnen in der Dominikanischen Republik diesen Tag zum Gedenken an die Mirabal-Schwestern wählten. Patria, Minerva und María Teresa Mirabal wurden am 25. November 1960 Opfer des brutalen Trujillo-Regimes, das ihrem unerschütterlichen Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit ein Ende setzte. Seitdem sind sie Symbolfiguren für Mut und den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. 1999 erklärten die Vereinten Nationen den 25. November offiziell zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen – ein weltweites Signal, das zu internationaler Zusammenarbeit und einem Bewusstsein für dieses Thema aufruft.

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