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Ansprechstelle für sexualisierte Gewalt

Für Betroffene da sein

Uwe Seibel ist seit dem 01.09.2025 die zuständige Person in der Ansprechstelle für sexualisierte Gewalt in der Diakonie Hessen. In dieser Funktion berät er vertrauensvoll und diskret Betroffene und Angehörige.

Im Gespräch mit Uwe Seibel

Uwe Seibel ist Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Er arbeitet seit 2009 in der Diakonie.
 
Was hat Sie motiviert, diese verantwortungsvolle Aufgabe als Ansprechperson für Betroffene von sexualisierter Gewalt zu übernehmen?

Die Betroffenen haben Gewalt, Leid, und leider viel zu oft Unverständnis erlebt, wenn sie ihre Geschichte publik gemacht haben. Die positive Botschaft von der Zuwendung Gottes zu uns Menschen durch Jesus von Nazareth wurde radikal falsch verstanden und mit Füßen getreten. Vielleicht gelingt es mir, Bilder zu beschreiben, wenn mein Gegenüber das möchte.
 

Wie möchten Sie sicherstellen, dass Betroffene sich bei Ihnen gehört, ernst genommen und unterstützt fühlen?

Mein Selbstbild ist das eines guten Beraters: Zuhören, nachfragen und wenn gewünscht Möglichkeiten für die nächsten Schritte eröffnen. Die Ansprechstelle hat den Anspruch, einen Schutzraum anzubieten. Dabei darf ich nicht den Eindruck vermitteln, ich sei Therapeut.
 

Sie sind auch Seelsorger – wie prägt diese Erfahrung Ihren Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt, insbesondere in Situationen, in denen Worte fehlen?

Ich glaube, dass es für betroffene Menschen schwer sein kann, das Erlebte überhaupt in Sprache zu fassen. Es soll nicht zu einer erneuten Schmerzerfahrung werden. Da kann Sprachlosigkeit und gemeinsames Schweigen vielsagend sein. Es gibt viele Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Ein Mensch spricht, auch wenn er schweigt.
 

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden, die Betroffene davon abhalten könnten, sich zu melden?

Mir ist klar, dass ich als evangelischer Pfarrer aus Betroffenen-Sicht die Institution oder Einrichtung darstelle, die ihnen Leid zugefügt hat. Das kann ein No-Go sein und das akzeptiere ich. Wer dadurch Vorbehalte hat, kann sich an eine externe Beratung wenden. Eine Möglichkeit mit mir dennoch Kontakt aufzunehmen, wäre eine anonyme Beratung.
 

Die ForuM-Studie zeigt deutlich, dass strukturelle Bedingungen in Kirche und Diakonie sexualisierte Gewalt begünstigen können. Welche strukturellen Veränderungen halten Sie für besonders dringend?

Wir wissen aus der Studie, dass dem Leid und den Schilderungen der Betroffenen zu oft nicht geglaubt wurde. In einem anderen Zusammenhang hat der Schriftsteller Ralph Giordani von der zweiten Schuld gesprochen. Er meint damit die Verdrängung, Verleugnung und Vertuschung bis hin zum Schutz der Täter im Kontext der Shoa. Für unser Thema muss ich von einer systematischen Leugnung sprechen, die systemische Ursachen hat. Beschuldigte wurden oft versetzt oder in andere kirchliche Bereiche integriert, statt konsequent zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Fürsorge galt häufig den Tätern, nicht den Betroffenen. Für besonders wichtig halte ich verbindliche Präventionskonzepte für alle kirchlichen Einrichtungen, regelmäßige Schulungen für Mitarbeitende und eine unabhängige Kontrolle der Umsetzung.
 

Die ForuM-Studie benennt Versäumnisse in der bisherigen Aufarbeitung. Was möchten Sie konkret anders machen, um Vertrauen bei Betroffenen wieder aufzubauen?

Die Studie benennt mangelhafte Unterstützung und Anerkennung von Betroffenen als ein Versäumnis. Betroffene wurden häufig nicht ernst genommen, ihre Aussagen wurden angezweifelt, und sie wurden mit Forderungen nach Vergebung konfrontiert. Es fehlte an Empathie, Transparenz und Beteiligung. Das ist für mich mein Auftrag: Betroffene haben Recht. Ob Vertrauen entsteht, entscheidet mein Gegenüber. Ich glaube, das wird nicht leicht, den Berg an jahrelangen Enttäuschungen abzubauen. Ich versuche, einen sicheren Raum zu schaffen und Wege aufzuzeigen.
 

Wer kann sich an Sie wenden?

Grundsätzlich Menschen, die in Organisationen und Einrichtungen von Diakonie mit Gewalt konfrontiert sind oder waren, als Mitarbeitende, Klientinnen und Klienten oder Ehrenamtliche. Das ist vielleicht zunächst gar nicht offensichtlich, sondern es kann auch eine Beobachtung sein oder etwas fühlt sich seltsam an. Gerade sexualisierte Form von Gewalt beginnt häufig als Grenzverletzung, kann also sehr niedrigschwellig sein. Entscheidend ist, wie ich mich als Person dabei fühle, wo also mein Befinden anschlägt. Von der regionalen Zuordnung beziehe ich mich auf die Gebiete, die zur Diakonie Hesssen zählen. Dazu gehört ganz Hessen, Teile von Rheinland-Pfalz und von Thüringen.

Kontakt

Uwe Seibel

Ansprechstelle für sexualisierte Gewalt in der Diakonie Hessen

0561 10953305

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