Der Einsatz von Leiharbeit in der Pflege ist in Deutschland bislang normativ kaum reguliert. Im Koalitionsvertrag 2021 hatten sich die regierenden Parteien zur Unterstützung der Pflegebetriebe und der Mitarbeitenden in der Pflege bekannt. Die Diakonie Hessen fordert, dass die Politik entsprechend aktiv wird, um Einrichtungen und ihre Mitarbeitenden zu entlasten und die Qualität von Pflegearbeit zu sichern. „Anbieter von Leiharbeit müssen den gleichen gesetzlichen Vorgaben und Anforderungen unterliegen wie Pflegeeinrichtungen“ stellt Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, klar.
Anbieter von Leiharbeit sind aktuell gefragte Akteure in der Pflegebranche. Dies belegen Rückmeldungen ambulanter und stationärer Einrichtungen aus dem Hessischen Pflegemonitor. Im Jahr 2020 setzten im stationären Bereich 39% gelegentlich und 16% dauerhaft Leiharbeitskräfte ein. Nach den Rückmeldungen aus dem ambulanten Bereich sind es gelegentlich 8% und dauerhaft 2%. Was jedoch als Instrument zur Überbrückung beispielsweise bei kurzfristigen Personalausfällen gedacht war, ist vielerorts zunehmend Alltag in Pflegeeinrichtungen und das hat Folgen.
Bisher bestimmen Leiharbeitsfirmen Vertragsinhalte nach dem freien Markt. Das gilt insbesondere für die Preise. Das Risiko bei Nichtvertragseinhaltung hingegen liegt aber bei den beauftragenden Einrichtungen. Das führt zu enormen, nicht refinanzierten Kosten. „Eine qualitativ gute Leistungserbringung und Refinanzierbarkeit von Leiharbeit muss vom Gesetzgeber in den vertraglichen Rahmenbedingungen gestaltet werden“, macht Carsten Tag deutlich.
Sonja Driebold, Abteilungsleiterin für Gesundheit, Alter und Pflege bei der Diakonie Hessen, führt weiter aus: „Das Personal von Leiharbeitsfirmen ist oftmals unzureichend geschult, zum Beispiel im Hinblick auf die aktuellen Anforderungen an Pflegedokumentation und Nachweisführung. Die Einsätze sind oft nur kurzzeitig und ad hoc erforderlich. Entsprechend ist oftmals kaum Zeit für eine umfangreiche Einarbeitung.“ Was hier fehle seien gesetzliche Vorgaben für die Leiharbeitsfirmen, wie zum Beispiel Mindestvorgaben für die Ersatzbeschaffung bei Personalausfall sowie Regelungen im Haftungsrecht bei fachlichen Fehlern oder nicht vorhandener Qualifikation. Da die Pflegeausbildung über die Ausbildungsumlage finanziert ist, empfiehlt Sonja Driebold dringend „Leiharbeitsfirmen an den Ausbildungskosten zu beteiligen und zur Einzahlung in den Ausgleichsfonds der generalistischen Pflegeausbildung zu verpflichten“.
Die finanzielle Förderung von alternativen Konzepten wie z.B. Springerkonzepte, vereinfachtes Anerkennungsverfahren von ausländischen Fachkräften zur Personalgewinnung und eine „Greencard“ mit Bleiberecht von Pflegeassistenzpersonen sind weitere Faktoren, die den Einsatz von Leiharbeit grundsätzlich reduzieren können.
Hintergrund:
Stationäre und ambulante Einrichtungen müssen im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen mit Kostenträgern wie Pflegekassen und Sozialhilfeträgern grundsätzlich ihre Preise vereinbaren. Die Personalkosten stellen dabei mit etwa 80% den größten Anteil der Gesamtkosten dar.
Im stationären Bereich ist hierfür der Maßstab die Mindestbesetzung in der Einrichtung. In der Folge muss mit einer zunehmend knappen Personaldecke der Dienstplan sichergestellt werden. Mit dieser regulären Mindestpersonalausstattung müssen Einrichtungen bestmögliche Leistungen erbringen. Dieser Umstand führt dazu, dass bereits geringfügige Personalausfälle nicht mehr durch Stammpersonal kompensiert werden können. Diese Problematik hat sich in der Vergangenheit, vor allem durch den Pflegepersonalmangel, weiter verschärft.
Einrichtungen sind dazu verpflichtet, die verhandelte Personalmenge zu erfüllen bzw. die für die Erbringung des Leistungsangebotes benötigte Personalmenge vorzuhalten. Um dies bei Personalausfällen gewährleisten zu können, müssen diese vielfach auf Leiharbeit zurückgreifen. Im ambulanten Bereich müssten sonst Touren abgesagt oder im äußersten Fall sogar Pflegeverträge gekündigt bzw. Neuanfragen nicht mit einem eigentlich angemessenen Leistungsangebot bedient werden. Im stationären Bereich stünden weniger Pflegeplätze zur Verfügung. Auch vorübergehende oder endgültige Schließungen ganzer Einrichtungsteile sind möglich. Durch diese Umstände drohen weitere Versorgungslücken.
In Folge der Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens nach § 113c SGB XI in stationären Pflegeeinrichtungen wird sich der Personalbedarf weiter erhöhen.
Einrichtungen bewegen sich damit in dem Spannungsfeld, trotz angespannter personeller Situation den ordnungs- und leistungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen. Sie stehen vor der Entscheidung entweder Versorgungsangebote zu reduzieren oder Personal von Leiharbeitsfirmen - oder auch freiberuflich tätige Pflegekräfte - in Anspruch zu nehmen.
Ansprechpartnerin bei der Diakonie Hessen:
Sonja Driebold
Abteilungsleiterin Gesundheit, Alter, Pflege (GAP)
Tel. 069 7947 6266
E-Mail: sonja.driebold@diakonie-hessen.de