Pflege braucht mutige und verbindliche Reformen
Situationsanalyse der Diakonie Hessen bestätigt dringenden Reformbedarf.
Zukunftspakt Pflege greift noch nicht weit genug.
18.12.2025
Die Lage der Pflege ist kritisch
Die Diakonie Hessen hat zum dritten Mal ihre Pflegeeinrichtungen zur aktuellen wirtschaftlichen Lage befragt. Die Situationsanalyse, basierend auf einer Umfrage unter 110 von insgesamt rund 500 ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen, zeigt erneut: Die Lage in der Pflege ist kritisch.
„Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen“, erklärt Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen. „Pflegebedürftige Menschen müssen genau abwägen, welche Leistungen ihnen zustehen, welche sie sich leisten können und welche tatsächlich angeboten werden. Trotz hoher Nachfrage stehen unsere Einrichtungen vor der Herausforderung, kostendeckend zu arbeiten.“ Diese Situation beeinträchtigt die Gesundheit und Teilhabe pflegebedürftiger Menschen. Carsten Tag fordert: „Damit auch künftig professionelle Unterstützung gewährleistet ist, müssen die geplanten Reformen im Zukunftspakt Pflege umfassend und schnell umgesetzt werden.“
Stationäre Pflege: Hohe Nachfrage, ungenutztes Potenzial
„Die stationären Einrichtungen kämpfen mit hohen Kosten und einer starken Fluktuation“, berichtet Sonja Driebold, Leiterin des Ressorts Gesundheit, Alter, Pflege. „Mit einer durchschnittlichen Auslastung von 93 Prozent bleibt Potenzial ungenutzt – einzelne Zimmer stehen leer, obwohl der Bedarf groß ist.“ Gründe sind Personalmangel und die immer kürzere Verweildauer. „Viele kommen erst in die Einrichtung, wenn es nicht mehr anders geht. Dann ist der Gesundheitszustand oft so schlecht, dass die Verweildauer nur noch kurz ist“, so Driebold.
Ambulante Pflege: Nachfrage trifft auf fehlende Kapazitäten
Auch die ambulante Pflege ist stark belastet: 63 Prozent der Anfragen konnten nicht bedient werden – vor allem wegen fehlender personeller Ressourcen. „Wenn Menschen zu spät Hilfe erhalten, verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand weiter. Teilhabe wird schwieriger, ein Verbleib im eigenen Zuhause kaum möglich“, erklärt Driebold. Gleichzeitig zeigt sich eine paradoxe Entwicklung: Immer mehr Menschen nehmen weniger Hilfe in Anspruch, als sie benötigen – schlicht, weil die Leistungen zu teuer sind.
Pflegeberuf bleibt attraktiv: Ausbildung wird ausgebaut
Es gibt auch positive Nachrichten: 85 Prozent der Einrichtungen bilden aus, darunter 80 Prozent der ambulanten Dienste. „Das zeigt, wie engagiert unsere Einrichtungen dem Personalmangel begegnen und das Berufsbild stärken wollen“, betont Driebold. Trotz eines Anstiegs der Ausbildungszahlen um 10 Prozent gegenüber 2024 blieben rund 45 Prozent der Plätze unbesetzt – wegen fehlender Bewerbungen oder mangelnder Eignung. „Wir sehen das als Ansporn, weiter in gute Ausbildungsstrukturen zu investieren.“
Zukunftspakt Pflege: Gute Ansätze, aber nicht ausreichend
„Die Ergebnisse unserer Umfrage spiegeln die Lage der gesamten Branche wider: Eine grundlegende Reform ist unumgänglich“, sagt Carsten Tag. Die Diakonie Hessen begrüßt die Ansätze des vor kurzem vorgestellten Zukunftspakts Pflege – etwa die Stärkung der häuslichen Pflege, die geplante Bündelung ambulanter Leistungen in flexiblen Budgets, die Förderung von Digitalisierung und Innovation oder die vorgeschlagenen Finanzierungsinstrumente. „Doch wie unsere Umfrage zeigt: Für Einrichtungen und Pflegebedürftige gehen sie noch nicht weit genug.“
„Die Politik muss die Ideen mutig umsetzen – ohne Kürzungen“, fordert Carsten Tag. „Es braucht verbindliche Strukturen und Ressourcen in den Kommunen und Landkreisen. Die Pflegeversicherung muss solidarisch und verlässlich finanziert werden. Das aktuelle Abrechnungssystem ist zu komplex. Viele Betroffene kommen nicht mehr mit. Wir müssen uns entscheiden, wie wir künftig zusammenleben wollen.“ Carsten Tag appelliert: „Vereinfachen Sie das Abrechnungssystem, fördern Sie die Durchlässigkeit zwischen den Sektoren und bauen Sie Bürokratie ab. Lassen Sie uns das tun, was wir können: nah am Menschen sein und pflegen. Vertrauen Sie uns und binden Sie uns als Experten aktiv in Reformprozesse ein. Damit wir gemeinsam tragfähige Lösungen entwickeln.“
Forderungen der Diakonie Hessen
- Grundlegende Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung
- Flexible, bedarfsgerechte und selbstbestimmte Versorgungsarrangements – orientiert an den Bedürfnissen der Menschen, nicht an starren Grenzen
- Mehr Vertrauen in pflegerische Kompetenz, weniger Bürokratie
- Klare Befugnisse und finanzielle sowie fachliche Unterstützung für Regionen, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu sichern
Zur Situationsanalyse
- Befragt wurden rund 500 Einrichtungen der Altenhilfe der Diakonie Hessen, 110 nahmen teil
- Umfragezeitraum: April 2025 (Bezugszeitraum: Nov. 2024 – Apr. 2025)
- 42 Prozent ambulante Pflege, 58 Prozent stationäre Pflege
- Ergebnisse:
- Wirtschaftliche Lage bleibt angespannt: Ein Viertel erwartet schlechtere Betriebsergebnisse
- 63 Prozent der ambulanten Dienste mussten Anfragen ablehnen
- Stationäre Einrichtungen erreichen im Schnitt 93 Prozent Auslastung, nötig wären 98 Prozent
Über die Pflege in der Diakonie Hessen
Die Diakonie Hessen unterstützt kranke und pflegebedürftige Menschen durch rund 500 Mitgliedseinrichtungen – darunter Krankenhäuser, stationäre Pflegeeinrichtungen, ambulante Dienste und Hospizangebote.
Weitere Informationen
Weitere Informationen finden Sie auf unserer Themenseite "Pflegeversorgung sichern".
In unserem Podcast "unerhört gesund" ordnen unsere Expertinnen Sonja Driebold und Bettina Mügge die Ergebnisse ein und diskutieren Lösungen.
Kontakt:
Sonja Driebold
Leiterin Ressort Gesundheit, Alter, Pflege
sonja.driebold@diakonie-hessen.de 069 79476241 01512 9801162