Nach dem Frühstück gibt es Gymnastik, dann einen vier Kilometer langen Spaziergang, anschließend ein frischgekochtes Mittagessen und eine Ruhepause: Den Tagesablauf hat die Seniorin Ursula Vohs für sich und ihren dementiell erkrankten Mann gut durchorganisiert. „Nachmittags sitzen wir auf dem Balkon, ich lese meinem Mann vor, wir spielen Rommé oder schauen uns Dokumentationen über Tiere und Natur im Fernsehen an“, erzählt die 82-Jährige aus Wiesbaden-Biebrich. Diese feste Struktur hilft ihr und ihrem 85-jährigen Mann, den derzeitigen Alltag zu bewältigen.
Denn dieser Alltag hat sich für das Ehepaar Vohs seit Mitte März mit den Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung des Corona-Virus drastisch verändert: „Zuvor hatte mein Mann jeden Montag die Betreuungsgruppe der Diakonie besucht, dabei erfuhr er viel Anregung, und ich hatte vier Stunden zur freien Verfügung“, berichtet Ursula Vohs. Sie konnte einkaufen, zum Arzt oder Kaffeetrinken gehen. Jetzt fehlt ihr nicht nur diese Zeit für sich selbst, sie vermisst ebenso den Austausch mit anderen Betroffenen in der Angehörigengruppe der „Fachberatung Demenz“ des Diakoniezentrums Gräselberg der Diakone Wiesbaden. Denn aufgrund des behördlichen Kontakt- und Versammlungsverbot können diese zweiwöchentlichen Treffen momentan ebenfalls nicht stattfinden. „Für mich ist das sehr schwer, mir fehlen die persönlichen Beziehungen, die schöne Atmosphäre und sogar die bei den Treffen liebevoll dekorierten Kaffeetische“, sagt Ursula Vohs.
Neben diesem Café für Angehörige und den insgesamt fünf über das Wiesbadener Stadtgebiet verteilten Demenz-Betreuungsgruppen musste die „Fachberatung Demenz“ der Diakonie Wiesbaden auch ihren monatlichen Tanztreff, die jährliche Sommerfreizeit in der Eifel sowie die Angebote „Sport & Talk“ und „KulturSportvorOrt“ für Menschen im Frühstadium einer Demenz absagen.
„Wir beraten und betreuen die Menschen jetzt intensiv am Telefon und leisten dabei momentan sehr viel Seelsorge“, sagt Gabriele Hofmann von der „Fachberatung Demenz“. Die Sozialarbeiterin und Pädagogin und ihre zwei Kolleginnen Ursula Frühauf und Barbara Berg sind telefonisch stets erreichbar, sie rufen außerdem regelmäßig die Besucherinnen und Besucher ihrer bisherigen Treffen und Angebote an. Wie in Wiesbaden bieten dieses Angebot für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen derzeit weitere Beratungsstellen im Gebiet der Diakonie Hessen an.
Die Mitarbeiterinnen begleiten die Menschen dabei auch durch schwere Krisen. So etwa eine Angehörige, deren Ehemann mit einem internistischen Notfall ins Krankenhaus kam, von dort aus in eine 30 Kilometer entfernte Klinik verlegt wurde, in der er kurz darauf verstarb. „Da es das Besuchsverbot in Krankenhäusern gibt, konnte seine Frau nicht einmal Abschied nehmen, und bei der anschließenden Beerdigung waren nach Vorgaben der Stadt Wiesbaden nur fünf Gäste zugelassen“, schildert Diakonie-Mitarbeiterin Gabriele Hofmann. Alle zwei Stunden hat sie daraufhin mit der Witwe telefoniert, um ihr in der Trauer zur Seite zu stehen.
Über die regelmäßigen Anrufe der Diakonie freut sich auch Seniorin Ursula Vohs: „Es ist ein Geschenk, dass jemand an uns denkt und hören möchte, wie es uns geht.“ Und der Austausch mit anderen Betroffenen findet nun eben über die Mitarbeiterinnen statt. „Den Rat zu einem strukturierten Tagesablauf, wie ihn das Ehepaar Vohs praktiziert, geben wir anderen Angehörigen gerne weiter“, sagt Gabriele Hofmann. Ebenso die Idee einer weiteren Dame, von der die Diakonie-Mitarbeiterin am Telefon erfuhr: „Die Lieblingsbeschäftigung ihres dementiell erkrankten Mannes war das Einkaufen, da dies nicht mehr möglich ist, geht sie mit ihm nun regelmäßig einen nahegelegenen Friedhof besuchen.“ Dort seien nur wenig weitere Menschen unterwegs, es gebe Bänke zum Ausruhen, und der Herr betrachte mit großem Interesse die Skulpturen und Statuen auf dem Gelände.
„Es ist sagenhaft, was die Mitarbeitenden und die Ehrenamtlichen der Diakonie leisten“, findet Ursula Vohs. In der wöchentlichen Gruppe mit ihrer Eins-zu-eins-Betreuung hatte ihrem Mann seit sieben Jahren die Ehrenamtliche Beate Duchstein zur Seite gestanden. Auch sie telefoniert nun regelmäßig mit dem Ehepaar Vohs. „Uns Ehrenamtlichen fehlt natürlich der persönliche Kontakt zu den Menschen, doch sie zu schützen, ist derzeit das Wichtigste“, sagt die Ehrenamtliche. Sie möchte Angehörige von dementiell erkrankten Menschen ermutigen, das derzeitige telefonische Beratungsangebot der Diakonie zu nutzen: „Niemand braucht ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er Hilfe in Anspruch nimmt.“
Denn die Pandemie beinträchtige und verunsichere in ihren Auswirkungen viele Angehörige und natürlich ebenso die Menschen mit einer Demenzerkrankung, ergänzt Diakonie-Mitarbeiterin Gabriele Hofmann: „Sie spüren, dass etwas anders ist.“ Mit dem eigenen Tragen eines Mundschutzes könnten viele dementiell erkrankte Menschen nur schwer umgehen. „Sie können außerdem die Mimik nicht lesen, wenn ihr Gegenüber eine solche Maske trägt.“ Für Angehörige stelle die aktuelle Corona-Krise eine große Herausforderung dar, die sie jedoch mit viel Engagement und Kreativität meisterten, erlebt Gabriele Hofmann.
Ursula Vohs hilft auch ihr Optimismus durch diese Zeit. Sie ist dankbar, dass sie mit ihrem Mann zusammen ist und es ihm dank der Medikamente derzeit gutgeht. Sie freut sich darüber, dass ihr Sohn für sie das Einkaufen erledigt und keiner aus der Familie von einer akuten Erkrankung betroffen ist. Gerade in diesen Zeiten sei es doch wichtig, den Lebensabend zu genießen. „Daher koche ich öfters das Lieblingsessen meines Mannes, und es gibt Kartoffelpuffer mit Apfelmus – wir achten dann eben einmal nicht auf unser Gewicht“, erzählt sie lachend.
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