von Ute Müller-Steck
Einander offen begegnen – so lautet das Motto des Welt-Alzheimertags 2019. „Wir brauchen Offenheit in unserer Gesellschaft. Menschen mit Demenz verdienen, dass wir offen auf sie zugehen. Sie und ihre Angehörigen sollen erleben, dass sie trotz Demenz akzeptiert sind und dazugehören“, sagte auch Sabine Roth, Geschäftsführerin der Bildungsakademie des Landessportbundes Hessen, beim Demenz-Fachtag in Frankfurt, zu dem die Bildungsakademie gemeinsam mit der Diakonie Hessen eingeladen hatte.
Bisher würden Menschen mit Demenz im Anfangsstadium auch politisch nicht beachtet und unterstützt. „Ihre Selbsthilfefähigkeiten zu bewahren ist im Interesse aller und sollte auch politisch oberstes Ziel sein. Die Anliegen von Demenz Betroffener müssen regelhaft in die Gestaltung und Planung sozialgesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Maßnahmen, wie z. B. die Erarbeitung der Demenzstrategie des Landes Hessen, eingebunden werden“, heißt es auch vonseiten der Diakonie Hessen, die durch Gabriele Hösl-Brunner vertreten war.
Der Einstieg in den Fachtag wurde auf emotionale Weise durch Ulrike Hinney, ehemalige PR-Expertin aus Berlin, gegeben. Sie hat seit einem Jahr die Diagnose Alzheimer. Nun spricht sie offen über ihre Krankheit, Ängste und ihr neues Leben. „Ich habe mich gefragt, was ich jetzt mit meinem restlichen Leben machen soll? Wie soll ich damit umgehen, nach einem selbständigen Leben genau diese Selbständigkeit zu verlieren?“, erzählt Ulrike Hinney.
Sie möchte mit ihrem Bericht anderen Betroffenen Mut machen. „Ich habe in meinem Leben schon viele Kämpfe geführt, doch jetzt weiß ich, dass ich diesen Kampf nicht gewinnen kann.“ Die über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung hörten der emotionalen Rede von Ulrike Hinney gebannt zu. Nach über einer Stunde erhielt sie „Standing Ovations“ für ihre Einblicke in ihr Seelenleben.
Einbeziehende Lebenssituation schaffen
Nach einer bewegten Pause durch Christine Oehme-Gourgues waren alle Teilnehmer/-innen wieder aufnahmebereit für den Vortrag von Cathrin Otto, Verhaltenstherapeutin und Psychologin mit über 25 Jahren Erfahrung in der Geriatrie. Einer ihrer Schwerpunkte liegt in der Beratung von demenzerkrankten Menschen und ihren Angehörigen. Sie erläuterte durch Praxisbeispiele sehr anschaulich, wie die personenzentrierte Pflege nach Tom Kitwood mit demenziell Erkrankten in Pflegeeinrichtungen umgesetzt werden kann.
„Die Pflege demenzkranker Menschen ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die eine Gesellschaft zu vergeben hat“, befand Tom Kitwood, ein britischer Sozialpsychologe, der bereits 1998 verstarb. Eine einbeziehende Lebenssituation muss für einen demenzkranken Heimbewohner ermöglicht und gestaltet werden. Sie ergibt sich nicht von selbst. Voraussetzung ist die Bereitschaft einer Einrichtung, das „Personsein“ der Erkrankten erhalten zu wollen, selbst dann, wenn fast alle Fähigkeiten verloren sind.
Zum Abschluss der emotionalen Veranstaltung ging es um „AGIL – aktiv geht’s immer leichter“: Karen Zacharides, hauptamtliche Referentin der Bildungsakademie, gab zunächst einen Überblick über das auf drei Jahre angelegte, gemeinsame Projekt der Diakonie Hessen und der Bildungsakademie. Ziel ist die Schulung von Ehrenamtlichen, die Kurzaktivierungsmaßnahmen mit Menschen mit Pflegbedarf im häuslichen Umfeld umsetzen sollen. Elke Boß vom Diakonischen Werk Odenwald interviewte diesbezüglich Frau Kämmerer, die das AGIL-Projekt als ehrenamtliche Besucherin bereits in die Praxis umsetzt. „Es bringt mir Freude, die alte Dame dreimal die Woche zu besuchen, mit ihr spazieren zu gehen, im Anschluss zu turnen und nach getaner Arbeit noch einen Kaffee zu trinken“, sagte sie. Die AGIL-Bewegungskarten, die die Teilnehmer während der Schulung erhalten haben, empfand sie als besonders gelungen und in der Praxis gut einsetzbar.
Moderatorin Ute Müller-Steck (Bildungsakademie) lud die Teilnehmer zum Abschluss ein, den Tag im gemeinsamen Gespräch ausklingen zu lassen. Eine der Teilnehmerinnen nutzte die Gelegenheit, um Ulrike Hinney zu danken: „Ich bin außerordentlich dankbar für diese wertvollen Einblicke in Ihr Leben mit der Krankheit. Ich war der Meinung schon viel über Demenz zu wissen, aber diese Begegnung hatte eine besondere Tiefe.“ Doch auch die feinfühligen Beobachtungen und Darstellungen von Frau Otto hätten ihr neue Erkenntnisse gebracht, die ihr in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit nützlich sein werden.
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