Debatte zu Assistiertem Suizid und Suizidprävention

Einführung

Diskussionsprozess zum Umgang mit dem Recht auf assistierten Suizid

2015 wurde der assistierte Suizid in Deutschland gesetzlich geregelt. Mit § 217 wurde ein Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Dieser Paragraf wurde im Februar 2020 durch das Bundesverfassungsgericht für ungültig erklärt. Das Urteil gründet auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Dieses umfasst nach Ansicht des BVerfG auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht ist nicht auf eine bestimmte Lebens- oder Krankheitssituation beschränkt. Das Urteil betont zugleich, dass es keine Verpflichtung zur Suizidassistenz geben kann.

Eine breite zivilgesellschaftliche Debatte, an der sich auch Diakonie und Kirchen beteiligen, hat begonnen.

Nach einer Orientierungsdebatte im April 2022, wurden drei Gesetzentwürfe in erster Lesung im Deutschen Bundestag eingebracht. Nach einer (Sachverständigen-) Anhörung im Rechtsausschuss im November 2022 wurden am 6. Juli 2023 zwei Gesetzentwürfe zur Abstimmung gebracht.

Diese Entwürfe unterscheiden sich in ihrer Zielrichtung:

  • Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben durch faktische Ermöglichung der Inanspruchnahme von Suizidhilfe (Helling-Plahr / Künast u.a.)
  • Schutz vor Gefahren einer möglichen Normalisierung; Verankerung im Strafrecht (Castellucci u.a.)

Keiner der beiden Entwürfe fand eine Mehrheit.

Im Vorfeld haben Diakonie Deutschland und Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Stellungnahmen abgegeben:

Zur Stellungnahme der Diakonie Deutschland

Zur Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland 

Unabhängig von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung hat die Diakonie Deutschland im Februar 2022 eine Orientierungshilfe veröffentlicht. Sie trägt den Titel  "Ich bin ein Gast auf Erden" (Psalm 119,19) Orientierungshilfe zum Umgang mit Sterbewünschen, suizidalen Gedanken und Wünschen nach Suizidassistenz Für Begleitende, Beratende, Versorgende, Leitende in Diensten und Einrichtungen der Diakonie“.

Orientierungshilfe der Diakonie Deutschland

Zusammenfassung der Orientierungshilfe

 

Diakonie Deutschland: Suizidprävention und Suizidassistenz"

In der Diakonie Deutschland werden die Themen Suizidprävention und Suizidassistenz in verschiedenen Arbeitsbereichen bedacht und bearbeitet. Zwei Projekte spiegeln dies wider: Projekt I (2020-2022) „Selbstbestimmung und Lebensschutz: Ambivalenzen im Umgang mit assistiertem Suizid“ und Projekt II (2024-2025) „Suizidprävention – Suizidassistenz: Praxisreflektionen in der Begleitung von Menschen an den Grenzen des Lebens“. Die Informationen zu den jeweiligen Projekten, Stellungnahmen und der grundlegenden Positionierung der Diakonie Deutschland, sowie aktuelle Informationen finden Sie auf den Themenseiten der Diakonie Deutschland:

Suizidprävention - Suizidprävention - Suizidassistenz - Wissensportal (diakonie-wissen.de)

Suizidprävention

Am 2. Mai 2024 hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Nationale Suizidpräventionsstrategie vorgestellt.

Hier finden sich weitere Informationen: Lauterbach: „Das gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid überwinden“ | BMG (bundesgesundheitsministerium.de), zur Strategie gelangen Sie hier: Nationale Suizidpräventionsstrategie (bundesgesundheitsministerium.de) .

Die Diakonie Deutschland fordert die Bundesregierung auf, die Suizidprävention verbindlich zu regeln und noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz vorzulegen.

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch dazu: "Mehr als 10.000 Menschen sterben jährlich durch Suizid. Bei Kindern und Jugendlichen ist es sogar die zweithäufigste Todesursache. Eine Strategie allein hilft Menschen mit Suizidgedanken nicht. Wir brauchen jetzt ein Gesetz, das die Infrastruktur für eine wirksame Suizidprävention schafft."

Um Menschen in Lebenskrisen besser zu erreichen, müssen bestehende Angebote gesichert und ausgebaut werden. Dazu zählt zum Beispiel die Telefonseelsorge, die rund um die Uhr für anonyme Gespräche bereitsteht, jedoch einen hohen Bedarf wahrnimmt, den sie nicht vollständig abdecken kann Ein weiteres wichtiges Angebot, das es bisher nur in drei Bundesländern gibt, sind psychiatrisch-psychosoziale Krisendienste für Menschen mit Suizidgedanken und anderen psychischen Krisen. Suizidgedanken und -wünsche treten vermehrt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie bei Menschen mit schweren Erkrankungen auf. Sie müssen auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Ein Suizidpräventionsgesetz muss die Förderung dieser unterschiedlichen Angebote regeln.

Das Suizidpräventionsgesetz muss aus Sicht der Diakonie Deutschland folgende Elemente umfassen:

  • Ausbau von Beratung und Hilfe in akuten Krisen. Hier fordern wir die finanzielle Förderung der Telefonseelsorge und den Ausbau psychiatrisch-psychosozialer Krisendienste. Es ist entscheidend, dass Menschen in suizidalen Krisen rund um die Uhr Zugang zu relevanten Hilfsangeboten haben. 
  • Die Finanzierung zielgruppenspezifischer Angebote für junge, alte und kranke Menschen, darunter präventive Hausbesuche für Menschen ab 75 Jahren.
  • Maßnahmen zur allgemeinen Bewusstseinsbildung und zur Aufklärung über Suizide und Suizidversuche sowie Hilfen für Menschen in akuten Krisen.

Suizidprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe Umfassende Suizidprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Eine wichtige Rolle spielt dabei, Verständnis zu wecken für Menschen, die aufgrund unterschiedlicher Problemlagen in suizidale Krisen geraten. Dazu gehören Informationen und Aufklärung über das Vorkommen von Suizidgedanken aufgrund von psychischen und physischen Erkrankungen oder seelischer, sozialer und ökonomischer Notlagen. Wir brauchen gesellschaftliche Debatten über unsere Vorstellungen, was gelingendes Leben bedeutet, über unsere Altersbilder und unser Verständnis von Selbstbestimmung, Autonomie, Fürsorge und Abhängigkeit. Hospizarbeit und Palliativversorgung tragen zur Suizidprävention bei. Daher ist es von großer Bedeutung, die Angebote in diesen Bereichen bekannter und für ein breiteres Spektrum der Gesellschaft zugänglich zu machen.

 

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege

Suizidprävention

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAFW) hat am 10. November 2022 ein Positionspapier veröffentlicht, das sich zu den Inhalten eines Suizidpräventionsgesetzes äußert.

Es ist zu hoffen, dass die darin dargelegten Forderungen bei den Überlegungen zu den gesetzlichen Regelungen der Suizidprävention und des assistierten Suizids Berücksichtigung finden werden.

Zum BAFW-Positionspapier 

Deutscher Ethikrat

Diakonie Deutschland zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrats

Der Deutsche Ethikrat hat am 22. September 2022 eine umfangreiche Stellungnahme unter dem Titel "Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit" vorgestellt. Diese begrüßt der Präsident der Diakonie Deutschland Ulrich Lilie und sagt: „Die Stellungnahme des Ethikrats setzt die richtigen Akzente, indem sie den Ausbau der Suizidprävention fordert. Die Diakonie hat sich mehrfach dafür ausgesprochen, dass vor einer gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids die Verabschiedung eines Suizidpräventions-Gesetzes nötig ist. Suizidprävention gehört an die oberste Stelle.“ Eine zentrale Aufgabe der Suizidprävention ist es, wie der Ethikrat schreibt, "die Selbstbestimmungsfähigkeit zutiefst verunsicherter und psychisch hoch belasteter Personen zu bewahren oder wiederherzustellen".

Selbstbestimmungsfähigkeit lebe von Beziehungen, besonders in den Krisen des Lebens: „Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Menschen in Einsamkeit und seelischer und sozialer Not ihrem Leben ein Ende machen. Vielmehr müssen wir mit ihnen in Beziehung treten, ihre Suizidgedanken annehmen und auch in der Beziehung bleiben, wenn sie einen assistierten Suizid wünschen", so Lilie weiter. Gleichzeitig hat der Ethikrat aber auch die Auffassung der Diakonie und anderer Verbände klar bestätigt, nach der soziale Einrichtungen der Langzeitversorgung nicht verpflichtet sind, assistierte Suizide in ihren Häusern zu dulden, wenn sich deren Durchführung mit ihrem Selbstverständnis nicht in Einklang bringen lässt und ein Ausweichen der Suizidwilligen Person möglich ist. „Auch das ist Teil wirksamer Suizidprävention,“ betont Lilie.

Der Diakonie-Präsident unterstreicht einen weiteren Punkt des Ethikrats: "Die Verantwortung für einen Suizid liegt eben nicht allein bei der Person, die aus dem Leben scheiden will. Es gibt ein Netz von unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der Angehörigen und Freunde und der professionellen Begleiterinnen und Begleiter. Diese ‚vernetzte Verantwortung‘ ist und bleibt ein großes Thema für unsere diakonische Praxis.“

Weitere Informationen

 

Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland

Dieser Erklärfilm zeigt, was die Charta ist und wie sie für mehr Würde bis zuletzt beiträgt.